Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Konfliktfelder bei der gesetzlichen Regelung von Gefahrguttransporten

Erstellt am: 10.06.2015 | Stand des Wissens: 23.02.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig

In der gefahrgutlogistischen Praxis führen die geltenden gesetzlichen Regelungen immer wieder zu Herausforderungen hinsichtlich ihrer (1) Verständlichkeit, (2) Vollständigkeit und (3) Kontrollierbarkeit. Auf daraus resultierende Konfliktfelder wird im Folgenden anhand von Beispielen aus der aktuellen Praxis der Gefahrgutlogistik eingegangen.

Rechtssicherheit vs. Anwenderfreundlichkeit
Der Gesetzgeber muss beim Gefahrguttransport für ein möglichst hohes Maß an Rechtssicherheit sorgen. Gesetzliche Vorschriften müssen umfassend sein, um möglichst viele Schadensfälle zu vermeiden. Gleichzeitig stellt dies die Akteure vor die Herausforderung, den vielfältigen Gefahrgutverordnungen auch zu genügen. Die Gefahrgutlogistikbranche klagt über eine zu hohe Komplexität der Gesetzgebung: "Immer wieder gibt es einzelne Vorschriften, über deren Umsetzung und genaue Anwendung Missverständnisse und Auseinandersetzungen zwischen Anwendern, Kontrollorganen und Richtern entstehen" [He13]. Ein aktuelles Beispiel für komplexe Vorschriften ist der Transport von Lithium-Batterien. Diese stellen ein viel höheres Maß an elektrischer Energie zur Verfügung als konventionelle Batterien. Gleichzeitig zeichnen sie sich jedoch auch durch eine hohe Brandgefahr aus. Sie werden deshalb als Gefahrgut mit eigenen Sicherheitsvorschriften für den Versand behandelt [GDV12a]. Die anzuwendenden Vorschriften unterscheiden sich im Vergleich zu herkömmlichen Batterien in Abhängigkeit von [Mue13]:
  • den gewählten Verkehrsträgern (Sondervorschriften für den Luft- und Seeverkehr, teilweise Beschränkungen der Luftverkehrsgesellschaften),
  • dem Versandort (besondere Kennzeichnungspflichten für Exporte in die USA),
  • der Transportroute (zum Beispiel Transporte durch den Eurotunnel dürfen 100 Kilogramm pro Versandeinheit beziehungsweise 500 Kilogramm pro Fahrzeug nicht überschreiten),
  • der Bauart (Kennzeichnungspflichten für unterschiedliche Batterie-Typen) und
  • dem Zustand (besondere Verpackungsrichtlinien für den Transport beschädigter Batterien).
Weitere Herausforderungen hinsichtlich der Anwenderfreundlichkeit ergeben sich aus der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Regelwerke, zum Beispiel, wenn neue Produkte entwickelt werden (siehe Lithium-Batterie zuvor), technische Entwicklungen neue Formen der Verpackung oder des Transports hervorbringen (zum Beispiel Gigaliner, Telematik) oder wenn Ereignisse wie Unfälle zur Notwendigkeit neuer Regelungen führen [FuBoGa12; Mue14a]. Da Aktualisierungen aus Gründen der Rechtssicherheit unerlässlich sind, müssen Anwender sicherstellen, immer nach den neuesten Regelungen und Verordnungen zu handeln. Änderungen werden in festen Turnussen in Verordnungen und Regelungen übernommen. Im Luftverkehr treten Änderungen jährlich ohne Übergangsfrist zum 1. Januar in Kraft. Im Straßen- und Schienengüterverkehr sowie in der Binnenschifffahrt werden Neuerungen zum 1. Januar der ungeraden Jahre mit einer Übergangsfrist von sechs Monaten eingeführt. Im Seeverkehr werden Änderungen zu Beginn der geraden Jahre etabliert, können aber normalerweise schon ein Jahr im Voraus angewendet werden. Trotz fester Aktualisierungszyklen bleibt es, aufgrund der Vielzahl an Änderungen und der hohen Regelungstiefe der Gefahrgutlogistik, schwierig, den Überblick zu behalten [FuBoGa12].
Unterschiedliche rechtliche Grundlagen bei Transport, Handhabung und Lagerung
Gefährliche Güter werden nicht nur transportiert, sondern auch gelagert und im Betrieb gehandhabt (zum Beispiel werden Umverpackungen geöffnet und wieder verschlossen oder Stoffe umgefüllt). In diesen Fällen ist neben dem Transportrecht für Unternehmen, die gefährliche Güter verwenden, auch das sogenannte Umgangsrecht relevant. Das Transportrecht zielt im Wesentlichen darauf ab, Sicherheit während des Transports zu gewährleisten, das heißt über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum, bei dem direkter Kontakt mit dem Gut höchstwahrscheinlich nur im Falle eines Unfalls auftritt. Im Gegensatz dazu, zielt das Umgangsrecht auf den Schutz von Arbeitnehmern und Verbrauchern während des Umgangs mit Gütern ab, das heißt über einen längeren Zeitraum und häufig mit direktem Kontakt zum Gut [EaKr13].
Die unterschiedlichen Zielsetzungen des Transport- und Umgangsrechts führen zu unterschiedlichen Anforderungen an die Gefahrgutlogistik, die gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Dies ist jedoch in der Praxis nicht immer der Fall. In einem Artikel des Branchen-Magazins "Gefährliche Ladung" (siehe für das Folgende [Mue13a]) wird berichtet, dass bei der Umhüllung von gefährlichen Gütern Sicherheitsmängel entstehen, die in mangelnden Kenntnissen der Beteiligten im Umgangsrecht begründet sind. So ist bei der Ausbildung und Prüfung zum Gefahrgutbeauftragten die Verpackung gefährlicher Güter nur Gegenstand des Gefahrgutrechts, die Anforderungen des Umgangsrechts an die Verpackung gefährlicher Stoffe bleiben meist unbekannt. Dies kann in der betrieblichen Handhabung von gefährlichen Stoffen zu Gefahrensituationen führen.

Rückläufige Kontrollintensität gesetzlicher Regelungen
Auch wenn Vorschriften sehr detailliert die Verpackung, die Kennzeichnung, den Transport und die Lagerung gefährlicher Güter vorgeben, wird deren Einhaltung nicht immer hinreichend kontrolliert. Im Vergleich der Jahre 2012 bis 2021 zeigt sich, dass die Anzahl der Gefahrgutkontrollen im Straßenverkehr rückläufig ist. Wurden im Jahr 2012 noch etwa 26.700 Fahrzeuge kontrolliert, verringerte sich diese Anzahl bis zum Jahr 2021 auf etwa 10.600. Allerdings sank auch die Anzahl an Verstößen im gleichen Zeitraum von 6.708 festgestellten Verstößen im Jahr 2012 auf 2.113 Verstöße im Jahr 2021 [ECST19, BALM22].
Ähnlich wie im Straßengüterverkehr sind die Kontrollmengen auch beim Gefahrguttransport auf der Schiene rückläufig. Wurden im Jahr 2010 noch rund 14.200 Kontrollen durchgeführt, waren es im Jahr 2021 nur noch rund 13.300. Laut Eisenbahn-Bundesamt wird sich dieser Trend der sinkenden Kontrollzahlen auch weiterhin fortsetzen. Die Hauptursache dafür stellen zurückgehende Personalkapazitäten für die Gefahrgutkontrollen dar [EiBu2015, EBA18a, EBA22].
Umfassende Statistiken über die Kontrollmengen von Gefahrgütern im See- und Binnenschiffsverkehr existieren nicht.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Gefahrgutlogistik im Spannungsfeld gegensätzlicher Anforderungen (Stand des Wissens: 23.02.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?450386
Literatur
[BALM22] Bundesamt für Logistik und Mobilität (Hrsg.) Ergebnisse der Kontrollen im Gefahrgutrecht 2021, 2022
[EaKr13] Dr. Eva Keßler GHS und Transport, veröffentlicht in der gefahrgutbeauftragte, Ausgabe/Auflage 03, Storck Verlag Hamburg, 2013/03
[EBA18a] Eisenbahn-Bundesamt (Hrsg.) Bericht des Eisenbahn-Bundesamtes zur Durchführung der behördlichen Gefahrgutüberwachung nach Abschnitt 1.8.1 RID und der GGVSEB im Bereich der Eisenbahnen des Bundes für das Jahr 2017, 2018/10/22
[EBA22] Eisenbahn-Bundesamt (Hrsg.) Bericht des Eisenbahn-Bundesamts gemäß Artikel 19 der Richtlinie (EU) 2016/798
über Eisenbahnsicherheit hinsichtlich der Tätigkeiten als Sicherheitsbehörde, 2022
[ECST19] ecomed-Storck GmbH (Hrsg.) Weniger Gefahrgut-Kontrollen, 2019/07/05
[EiBu2015] Eisenbahn-Bundesamt (Hrsg.) Bericht des Eisenbahn-Bundesamtes zur Durchführung der behördlichen Gefahrgutkontrollen für das Jahr 2014, 2015/12
[FuBoGa12] Uta Fuchs, Joachim Boenisch, Ralf Gaßner (Hrsg.) Immer in Bewegung, veröffentlicht in gefahrgut einfach, Ausgabe/Auflage Serviceheft 2012/2013, Storck Verlag Hamburg, 2012/08
[GDV12a] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (Hrsg.) Lithium-Batterien, VdS, 2012/06
[He13] Claus-Dieter Helmke Klarheit für die Praxis, veröffentlicht in gefährliche ladung, Ausgabe/Auflage 2, Storck Verlag Hamburg, 2013/02
[Mue13] Dr. Norbert Müller Der Strom reißt nicht ab, veröffentlicht in gefährliche ladung, Ausgabe/Auflage 6, Storck Verlag Hamburg, 2013/06
[Mue13a] Prof. Dr. Norbert Müller Das nahezu unbekannte Wesen, veröffentlicht in gefährliche ladung, Ausgabe/Auflage 11, Storck Verlag Hamburg, 2013/11
[Mue14a] Prof. Dr. Norbert Müller Glasklar in der Kristallkugel (I), veröffentlicht in gefährliche ladung, Ausgabe/Auflage 8, Storck Verlag Hamburg, 2014/08
Glossar
Schienengüterverkehr
Unter Schienengüterverkehr (SGV) wird der Transport von Gütern mit der Eisenbahn verstanden. Diese werden in Güterzügen unter Verwendung (spezieller) Güterwagen befördert. Diese Verkehre können entweder auf gesonderten Güterverkehrsstrecken oder im Mischverkehr, auf gemeinsam durch den Güter- und Personenverkehr genutzten Strecken, realisiert werden. Leistungen des Schienengüterverkehrs werden häufig als Teil einer Logistikkette in logistische Gesamtkonzepte eingebunden.
Telematik Der Begriff Telematik ist aus den Worten Telekommunikation und Informatik zusammengesetzt und bezeichnet Technologien, die Datenverarbeitung und Nachrichtentechnik miteinander verknüpfen.
Eisenbahn-Bundesamt Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) ist Aufsichts- und Genehmigungsbehörde für die Eisenbahnen des Bundes und Eisenbahnunternehmen mit Sitz im Ausland für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Es nimmt darüber hinaus die Landeseisenbahnaufsicht über die nichtbundeseigenen Eisenbahnen auf Weisung und Rechnung von 13 Bundesländern für diese wahr.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?450299

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 11:56:45