Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Interessensfeld "Schutz der Bevölkerung bei Gefahrguttransporten"

Erstellt am: 03.06.2015 | Stand des Wissens: 27.02.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten

Der Schutz der Bevölkerung bei der Beförderung von Gefahrgut ist ein zentrales Ziel des Gefahrgutrechts [ArIs08, S. 548]. Welche Gefahren bei der Beförderung konkret bestehen und wie bedeutend diese einzuschätzen sind, hängt von der Art und Menge der beförderten Güter sowie den gewählten Verkehrsträgern ab. Wie bereits in der Einführung in diese Wissenslandkarte aufgezeigt wurde, werden Gefahrgüter je nach Gefährlichkeitsmerkmal in neun Klassen unterteilt. Einige der Gefahrgutklassen, wie explosive Stoffe, Gase und gasförmige Stoffe oder entzündbare feste Stoffe, stellen eine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung dar, wenn sich die Stoffe im Falle eines Verkehrsunfalls entzünden oder explodieren [BMVI19r, S. 8].
Diese Gefährdung betrifft sowohl die Frachtführer, weitere beteiligte Verkehrsteilnehmer sowie gegebenenfalls auch Anwohner am Unfallort. Andere Gefahrgutklassen, wie ansteckungsgefährliche Stoffe und radioaktive Stoffe, stellen darüber hinaus auch eine mittelbare Gefahr für die Bevölkerung dar, weil neben der akuten Gefährdung für die unmittelbaren Unfallbeteiligten auch die Gefahr von Spätschäden oder chronischen Erkrankungen besteht [ArIs08, S. 548]. Im Fall von radioaktiven Stoffen können die direkten Folgen eines Unfalls nur wenige Menschen betreffen, während die mittelbaren Folgen durch die Auswirkung der austretenden Strahlung auf die menschliche Gesundheit eine Gefahr für die Bevölkerung in einem größeren Umkreis darstellt.

Nicht nur die unterschiedlichen Gefahrgutklassen, sondern auch die für die Beförderung genutzten Verkehrsträger begründen unterschiedlich hohe Gefährdungspotenziale für die Bevölkerung [BMVI19r, S. 14]. Die direkte Gefährdung der Bevölkerung bei Straßentransporten aufgrund der direkten Kontaktmöglichkeit mit dem befördernden Fahrzeug ist im Vergleich zu Wasser- und Schienentransporten höher einzustufen. Zur Verminderung dieser Gefahr dürfen besonders gefährliche und in der Anlage 1 zur Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, mit Eisenbahnen und auf Binnengewässern (GGVSEB) genannte Güter (wie zum Beispiel Propan, Flusssäure und bestimmte Sprengstoffe) daher nur dann im Straßenverkehr befördert werden, wenn keine Möglichkeiten bestehen, den Transport per Eisenbahn, Binnenschiff oder auch im kombinierten Verkehr durchzuführen [BMVBS13ac, S. 9].
449389_Bild 1.pngAbb. 1: Beförderungsmenge von Gefahrguttransporten in Deutschland im Jahr 2017 nach Transportmitteln (in Millionen Tonnen) [Stat19s]
449389_Bild 2.pngAbb. 2: Beförderungsmenge von Gefahrguttransporten in Deutschland im Jahr 2017 nach Gefahrgutklassen (in Millionen Tonnen) [Stat19r] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Als Folge unterscheiden sich der Modal Split von Gefahrguttransporten und der Modal Split der gesamten Gütertransporte deutlich. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich ist, wurde mit 147,7 Millionen Tonnen knapp die Hälfte des gesamten Gefahrguttransportaufkommens von 293 Millionen Tonnen im Jahre 2017 auf öffentlichen Straßen transportiert [Stat15n; Stat15l]. Insgesamt wird ersichtlich, dass vornehmlich entzündbare flüssige Stoffe der Klasse 3 transportiert werden (siehe Abbildung 2) [Stat19r; Stat19s].

Auch wenn direkte Gefahren für die Bevölkerung durch Unfälle mit Seeschiffen, Binnenschiffen oder Eisenbahnen aufgrund der bestehenden räumlichen Trennung von anderen Verkehrsteilnehmern anders als bei Straßentransporten als eher gering einzustufen sind, stellt insbesondere der Umschlag der Gefahrgüter in dicht besiedelten Regionen eine Gefahr für die Bevölkerung dar. So brannte zum Beispiel im Mai 2013 ein Frachter im Hamburger Hafen, der unter anderem mehrere Tonnen radioaktives Material, Munition und Raketentreibstoff geladen hatte. Den Einsatzkräften gelang es, im Verlauf der Löscharbeiten, 33 Gefahrgut-Container von dem brennenden Frachter zu bergen [Zei13].

Trotz umfassender Vorschriften, durchgeführter Schulungen der Frachtführer sowie Kontrollen von Gefahrguttransporten auf allen Verkehrsträgern lassen sich Unfälle mit Gefahrgütern und damit eine Gefährdung der Bevölkerung nicht vollständig verhindern. Dies liegt daran, dass Unfälle nicht nur durch technisches Versagen oder Naturkatastrophen, sondern auch durch menschliches Fehlverhalten verursacht werden [Hue13, S. 28]. Ein besonders verheerendes Beispiel für die Folgen menschlichen Fehlverhaltens ist der Unfall eines Kesselwagenzugs in Kanada im Jahr 2013. 47 Menschen starben, weil der Zugführer vergaß, die Handbremse zu betätigen und der Zug in eine Kleinstadt rollte, dort entgleiste und Teile des geladenen Rohöls explodierten [Lju13]. Die Unfallstatistiken belegen eine besondere Gefährdung der Bevölkerung durch Gefahrguttransporte im Straßengüterverkehr. So kam es im Jahr 2015 zu 118 Unfällen mit Gefahrgut-Lkw, bei denen vier Menschen starben und 169 Menschen verletzt wurden. Im Vergleich zu den übrigen Unfällen im Jahr 2015 mit Gütertransporten auf der Straße sind Gefahrgutunfälle damit als schwerwiegender einzustufen, da es durchschnittlich zu mehr Personenschäden kommt [Stat17e].

Es existieren zahlreiche Kennzeichnungen für Gefahrgüter, sodass unter anderem beim Transport, direkt erkannt werden kann, wie mit der entsprechenden Ladeeinheit umzugehen ist. Diese Kennzeichnungen unterscheiden sich bei den Transportmitteln [BMDV19, S. 10ff.].

Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Gefahrgutlogistik im Spannungsfeld gegensätzlicher Anforderungen (Stand des Wissens: 23.02.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?450386
Literatur
[ArIs08] Arnold, D., Isermann, H., Kuhn, A., Furmans, K., Tempelmeier, H. Handbuch Logistik, Ausgabe/Auflage 3., neu bearbeitete Auflage, Springer-Verlag / Berlin Heidelberg, 2008, ISBN/ISSN 3540729283
[BMDV19] BMDV, (Hrsg.) Die Beförderung
gefährlicher Güter, 2019/07
[BMVBS13ac] BMVBS (Hrsg.) Die Beförderung gefährlicher Güter, 2013/03/01
[BMVI19r] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Die Beförderung gefährlicher Güter, Ausgabe/Auflage 28, 2019/07
[Hue13] Andrea Hütter Auf dem absteigenden Ast, veröffentlicht in Gefährliche Ladung, Ausgabe/Auflage 02/2013, 2013
[Lju13] David Ljunggren Canada to shut down rail firm involved in Quebec town disaster, 2013/08/13
[Stat15l] Statistisches Bundesamt Güteraufkommen je Verkehrsträger in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2015 , 2015
[Stat15n] Statistisches Bundesamt Beförderungsmenge von Gefahrguttransporten in Deutschland im Jahr 2013 nach Verkehrsträgern, 2015
[Stat17e] Statistisches Bundesamt Straßenverkehrsunfälle beim Transport gefährlicher Güter, 2017/02/02
[Stat19r] Statistisches Bundesamt Beförderungsmenge von Gefahrguttransporten in Deutschland im Jahr 2016 nach Verkehrsträgern , 2019/03
[Stat19s] Statistisches Bundesamt Beförderungsmenge von Gefahrguttransporten in Deutschland im Jahr 2016 nach Gefahrgutklassen , 2019/03
[Zei13] Brennender Frachter hatte radioaktives Material geladen, veröffentlicht in Zeit, 2013/05/17
Rechtsvorschriften
[GGVSEB] Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt - GGVSEB
[GGVSEBb] Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, mit Eisenbahnen und auf Binnengewässern
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.
Kombinierter Verkehr
Intermodaler Verkehr, bei dem der überwiegende Teil der in Europa zurückgelegten Strecke mit der Eisenbahn, dem Binnen- oder Seeschiff bewältigt und der Vor- und Nachlauf auf der Straße so kurz wie möglich gehalten wird.
Transporteur Transporteure (auch Frachtführer genannt) führen den physischen Transport aus.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?449389

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 12:17:26