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Hemmnisse und Spannungsfelder für verstärkt vernetzte Mobilität

Erstellt am: 26.05.2015 | Stand des Wissens: 07.06.2018
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Eine wichtige Voraussetzung der multimodalen Verkehrsmittelwahl ist die Bekanntheit der verschiedenen Mobilitätsangebote. Maßnahmen zur Förderung der multi- und intermodalen Mobilität können nur dann erfolgreich sein, wenn sie ihre Adressaten über gute Kommunikation tatsächlich erreichen. "Solange die Adressaten der Maßnahmen mit ihrer gegenwärtigen, meist autodominierten Mobilität zufrieden sind, haben es Anbieter alternativer Dienstleistungen schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden" ([Nobis14, S.12 ]).
Nach einer Umfrage des VDV (vgl. [VDV16b]) ist das Carsharing als Neuerung im Nahverkehrsangebot bereits 43 Prozent der Befragten bekannt, wohingegen nicht mehr als 17 Prozent ein Bikesharing-Angebot kennen. Über 40 Prozent der Befragten gaben an, Online-Tickets für Bus und Bahn im Nahverkehr zu kennen, während das für Handy-Tickets nur bei 30 Prozent und für E-Tickets nur bei 20 Prozent der Befragten zutraf.
Bei der Integration alternativer Verkehre in den Öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) sind weitere rechtliche Bestimmungen zu beachten. So bilden hinsichtlich der Genehmigungspflicht und der Konzessionspflicht das Personenbeförderungsgesetz [PBefG] und bezüglich des Betriebs die Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr [BOKraftb] sowie die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [FeV] den Rechtsrahmen, wobei nach [BaBiWo13] "[...] die genehmigungsrechtlichen Grundlagen eine erhebliche Hürde für die Einführung alternativer Verkehre" [BaBiWo13, S. 33] darstellen. Für flexible Bedienformen wie Anruf-Linientaxi/-bus (ALT), Anruf-Sammeltaxi/-bus (AST) oder Anruf-Taxi/-Bus sollte eine Genehmigung als Linienverkehr nach §§ 42 und 43 [BOKraftb] angestrebt werden, um Zuschüsse nach § 45a [BOKraftb] und [SGBIX] erwirken zu können [vgl. BaBiWo13, S. 33]. Mitfahrgelegenheiten mit dem Pkw unterliegen nicht dem [PBefG]. Übersteigen die Gesamtentgelte jedoch die Betriebskosten, so unterliegen diese Fahrten wiederum dem [PBefG] nach §§ 47 und 49 [PBefG], der [BOKraftb] respektive der [FeV] [BaBiWo13, S. 34]. Zur Weiterentwicklung des Mobilitätsverbundes ist es daher wichtig, dass die neuen individualisierten öffentlichen Verkehrsmittel (Carsharing, Leihfahrräder, Mitnahmeoptionen) definitorisch und finanzierungstechnisch als Bestandteil des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) entwickelt werden, vor allem im Rahmen einer Verkehrsfinanzierungsreform/-revision beziehungsweise Neuauflage von Regionalisierungs- [RegG], Entflechtungs- [Entflecht G] und Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz [GVFG] sowie bei der Weiterentwicklung des Personenbeförderungsgesetzes [PBefG].
Ein ebenso wichtiges rechtliches Thema ist der Datenschutz. Im vernetzten Personenverkehr werden Kundendaten von verschiedenen Anbietern in persönlichen Profilen gespeichert. Diese personenbezogenen Daten müssen geschützt werden (vgl. [BMVI16g, S.19]).
Dafür ist es unter anderem notwendig, dass die datenschutzrechtlichen Erlaubnisbedingungen für Verfahren mit automatischer Fahrpreisberechnung nach der Fahrt, beispielsweise bei einer anonymen Nutzung für Check-in-/Check-out- und Be-in-/Be-out-Verfahren, vervollständigt werden (vgl. [BMVI16g, S. 29]). Ein Grundstein für die Schaffung grundsätzlicher rechtlicher Einordnungen von Mobilitätsdaten wurde mit einer vom BMVI in Auftrag gegebenen Studie (vgl. (BMVI17]) gelegt. Darin werden ein Zuordnungsansatz und ein Vorschlag, wie sich dieser gesetzlich abbilden ließe, entwickelt.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Vernetzte Mobilität im Personenverkehr (Stand des Wissens: 07.06.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?447113
Literatur
[BaBiWo13] Bachem, A., Birgelen, A., Kittler, W. Integration alternativer Verkehre in den Öffentlichen Nahverkehr. Rechtliche Grundlagen, Einsatzmöglichkeiten und Anforderungen, veröffentlicht in Der Nahverkehr. Öffentlicher Personenverkehr in Stadt und Region, Ausgabe/Auflage 4/2013, 31. Jahrgang, Alba Fachverlag, Düsseldorf, 2013/04, ISBN/ISSN 0722-8287
[BMVI16g] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Akteure des Dialog- und Stakeholderprozesses im Rahmen der Initiative Digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr (Hrsg.) Roadmap: Digitale Vernetzung im öffentlichen Personenverkehr, 2016/07
[Nobis14] Nobis, C. Multimodale Vielfalt - Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns, Berlin, 2014
[VDV16b] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Der ÖPNV im Urteil der Bevölkerung 2016, 2016/06/06
Weiterführende Literatur
[BMVI17t] Bundesministerium für Digitales und Verkehr "Eigentumsordnung" für Mobilitätsdaten? Eine Studie aus technischer, ökonomischer und rechtlicher Perspektive, 2017/08
[FoPS15/16] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Referat G 11, Grundsatzfragen der Forschung, Entwicklung, Forschungsförderung Aufstellung des Forschungsprogramms zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden (FoPS 2015/2016), Bonn, 2014/06/12
[AhKlWi14] Ahrens, G.-A., Klotzsch, J., Wittwer, R. Autos nutzen statt besitzen. Treiber des multimodalen Verkehrsverbundes, veröffentlicht in ZfAW - Zeitschrift für die gesamte Wertschöpfungskette Automobilwirtschaft, Ausgabe/Auflage 2/2014, 17. Jahrgang, FAW-Verlag, Bamberg, 2014, ISBN/ISSN 1434-1808
[NVV15] Nordhessischer Verkehrsverbund (NVV) Das neue Mobilfalt-Angebot.
Mobilität für alle - flexibel und bezahlbar, 2015
[DELF12] Deutsche Bahn AG Konzern, Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH DELFI: Durchgängige ELektronische FahrgastInformation, 2012
[UBA20n] Umweltbundesamt (Hrsg.) Grundlagen für ein umweltorientiertes Recht der Personenbeförderung, 2020/11, ISBN/ISSN 1862-4804
[SoMu13] Sommer, C., Mucha, E. Multimodale Angebote zur Ergänzung des klassischen Nahverkehrs, veröffentlicht in Der Nahverkehr. Öffentlicher Personenverkehr in Stadt und Region, Ausgabe/Auflage 6/2013, 31. Jahrgang, Alba Fachverlag, Düsseldorf, 2013/06, ISBN/ISSN 0722-8287
[Stopka15] TU Dresden, Professur für Kommunikationswirtschaft, Prof. Dr. Ulrike Stopka, Stopka, U. Sharing Economy und kollaborative Mobilität, veröffentlicht in Mobilität und Kommunikation. Öffentlicher und Individualverkehr - wie finden sie zusammen?, Dresden, 2015/01/29
[MeiRau] Meier-Berberich, J., Raupp, M. Stuttgart Services. Intelligent vernetzte, nachhaltige und einfache Elektromobilität um urbane Angebote für die Region Stuttgart ergänzen, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 1/2014, 66. Jahrgang, DVV Media Group GmbH, Hamburg, 2014/03, ISBN/ISSN 0020-9511
[BOKraftb] BOKraft
Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr
[Entflecht G] Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen - Entflechtungsgesetz
[FeV] Fahrerlaubnis-Verordnung
[GVFG] Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz - GVFG)
[PBefG] Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
[RegG] Regionalisierungsgesetz (RegG)
[SGBIX] Sozialgesetzbuch (SGB IX)
Glossar
Bike Sharing Der Begriff Bike Sharing stammt aus dem Englischen und kann in etwa mit der Bedeutung „Fahrradverleih“ übersetzt werden. Er beschreibt die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Fahrrädern, die in der Regel von Unternehmen, Kommunen oder Kommunalverbänden bereitgestellt werden. Die Fahrräder stehen an öffentlich zugänglichen Stellplätzen zur Verfügung. Die Fahrräder können dabei an einer Station ausgeliehen und an einer anderen zurückgegeben werden. Dieses System ist besonders für die kurzfristige Nutzung der gegen ein Entgelt zur Verfügung gestellten Räder im urbanen Raum ausgelegt. Das Ziel ist, dass die Fahrräder möglichst vielen Nutzern pro Tag zur Verfügung stehen. Daher ist meist die erste halbe Stunde des Verleihs besonders günstig. Für eine längere Leihperiode bieten reguläre Fahrradvermieter jedoch meist die besseren Angebote.
Umweltverbund
Unter dem Begriff Umweltverbund wird die Kooperation der umweltfreundlichen Verkehrsmittel verstanden. Hierzu zählen die öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus und Taxis), nicht motorisierte Verkehrsträger (Fußgänger und private oder öffentliche Fahrräder), sowie Carsharing und Mitfahrzentralen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Wege innerhalb des Umweltverbunds, anstatt mit dem eigenen Pkw, zurückzulegen. Zunehmend wird der Begriff Mobilitätsverbund genutzt.
Anrufsammeltaxi Das Anrufsammeltaxi verkehrt nur nach rechtzeitiger Anmeldung des Fahrgastes nach einem im Voraus veröffentlichten Fahrplan an einer besonders gekennzeichneten Haltestelle. Im Gegensatz zum Anruflinientaxi endet die Fahrt an einem vom Fahrgast selbst gewählten Ort, beispielsweise seinem Zuhause.
Carsharing
Der Begriff CarSharing stammt aus dem Englischen (car= Auto, to share= teilen) und kann sinngemäß mit der Bedeutung "Auto teilen" übersetzt werden. Er beschreibt die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Kraftfahrzeugen, die meist von Unternehmen gegen Gebühr bereitgestellt werden.
Durch einen Rahmenvertrag oder eine Vereinsmitgliedschaft erhalten Kunden flexiblen Zugriff auf alle Kfz eines Anbieters. Die Fahrzeuge können über eine Webseite oder über eine Smartphone-App gebucht werden. Geöffnet werden sie in der Regel mit Hilfe von Chipkarten oder durch einen über die Smartphone-App vermittelten Zugangscode .
Bei dem System des stationsbasierten CarSharing stehen die Fahrzeuge auf reservierten Stellplätzen und werden nach der Nutzung auch wieder dorthin zurückgebracht. Ein anderes Modell ist das free-floating CarSharing. Hier stehen die Fahrzeuge in einem definierten Operationsgebiert verteilt. Sie können per Smartphone geortet werden und nach der Nutzung auf einem beliebigen Stellplatz innerhalb des Operationsgebiets zurückgegeben werden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Personenbeförderungsgesetz
Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) regelt die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Oberleitungsbussen (Obussen) oder Kraftfahrzeugen im Linien- und Gelegenheitsverkehr. Die Novelle des PBefG schafft einen Rechtsrahmen für neue digitale Mobilitätsangebote und berücksichtigt stärker die Belange des Klimaschutzes, der Verkehrseffizienz und die Erreichbarkeit im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse. Des Weiteren sind im PBefG Vorgaben zur Wahrung von sozialen Standards zugunsten der Beschäftigten verankert.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Betriebskosten
Betriebskosten sind laufende Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Erbringung von Verkehrsleistungen entstehen. Hierzu zählen zum Beispiel Aufwendungen für Energie, Personal, oder Infrastrukturnutzung.
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
Das 1971 in Kraft getretene Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) regelt die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Gefördert werden verschiedene Baumaßnahmen von Bahnen (besonders Eisenbahnen, Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen), wobei diese dem öffentlichen Personennahverkehr dienen müssen. Voraussetzung für die Förderung ist vor allem ein Kosten-Nutzen-Faktor über 1,0 im Rahmen der Standardisierten Bewertung.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?448091

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 15:38:33