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Elektronisches Ticketing mit Multifunktionalität

Erstellt am: 08.12.2014 | Stand des Wissens: 29.03.2020
Synthesebericht gehört zu:

Der Mobilitätssektor steht angesichts des wachsenden Umweltbewusstseins und veränderter Mobilitätsverhalten der Menschen vor großen Herausforderungen. Die Steigerung der Attraktivität und zugleich die Senkung von Zugangshemmnissen öffentlicher Verkehrssysteme soll zukünftig insbesondere durch die Schaffung einer einheitlichen Ticket-Plattform für den gesamten öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) in Deutschland sowie durch den Einsatz verkehrsträgerübergreifender Konzepte erzielt werden [Etic10].
441353_eticket_16-09-2019.jpgAbb. 1: Elektronisches Ticket auf dem Smartphone [BMVI19i]
Mit der Entwicklung und der fortschreitenden Implementierung eines interoperablen Standards für elektronische Tickets (E-Ticket) in Deutschland in Form der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen-Kernapplikation (VDV-KA) wurde der Weg hin zu einem für den Kunden einheitlich und einfach bedienbaren Zugang ("einheitliche Kundenschnittstelle") eingeschlagen. Eine Steigerung der ÖPV-Attraktivität kann durch die Integration von weiteren Leistungen in das E-Ticket erfolgen. In diesem Zusammenhang wird der Begriff des E-Ticketings mit Multifunktionalität verwendet. Zentrale Voraussetzung für diese Integration ist die vom Internationalen Verband für öffentliches Verkehrswesen (Union Internationale des Transports Publics, UITP) herausgegebene Empfehlung, dass im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eine Abkehr von der traditionellen Sichtweise, andere Mobilitätsformen sind eine direkte Konkurrenz zum ÖPNV, hin zu kombinierten, verkehrsträgerübergreifenden Dienstleistungsangeboten für Mobilität stattfinden muss [UITP11]. Die Multifunktionalität des E-Tickets lässt sich in zwei unterschiedliche Bereiche untergliedern: Mobilitätsleistung und Zusatzleistung.
Kern des E-Ticketings mit Multifunktionalität bildet die Integration von Mobilitätsleistungen über die Angebote des klassischen ÖPV hinaus. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, durchgehende, intermodale Mobilitätsketten über ein elektronisches Zugangsmedium abzubilden und zu bezahlen. Einen Ansatzpunkt hierfür stellt der Mobilitätsverbund dar, in dem die erweiterten Angebote des ÖPNV in einem Abrechnungssystem vernetzt werden. Zu diesen Angeboten des ÖPNV im Mobilitätsverbund zählen [Ahre14]:
441353_AngeboteOEPNV_16-09-2019.pngAbb. 1:  Angebote des ÖPNV im Mobilitätsverbund [Ahre14]
Neben diesen ÖPV-nahen Dienstleistungen können auf das E-Ticket auch ÖPV-ferne Zusatzleistungen integriert werden. Durch die Auswahl von Angeboten, die den Kunden einen Mehrwert bieten, kann die Attraktivität und Kundenakzeptanz für das gesamte E-Ticketing-System gesteigert werden. Beispiele für mögliche Zusatzleistungen sind [RMV12], [Mert09]:
  • Funktion des Dienstausweises: Personifizierte Zutrittskontrolle für den Einlass ins Bürogebäude und Arbeitszeiterfassung
  • Anwendung in Hochschulen: Studierendenausweis, Bibliotheksausweis, Mensakarte
  • Angebote im Bereich Freizeit: Rabattkarte für Sehenswürdigkeiten, Theater, ...
  • Zahlungsmöglichkeit mit dem E-Ticket in Stadien, Veranstaltungshallen, Geschäften, ...
In Deutschland existieren bereits eine Reihe von E-Tickets mit Multifunktionalität. Beispielhaft seien die Mobilitätskarten EiTicket und polygoCard zu nennen.
Das sogenannte EiTicket wird im Westen des Minden-Lübbecker Mühlenkreises angeboten. Dieses kann per Jahresabonnement bezogen werden und bietet in der Basisversion die uneingeschränkte Nutzung von Bus und Bahn in sechs Kommunen. Das EiTicket Plus erweitert dieses Angebot um die Möglichkeit der Miete von Pedelecs, welche kostenlos in Bus und Bahn mitgeführt werden dürfen. Die Bepreisung erfolgt über das Hinterradschloss und einer App auf dem Smartphone des Kunden [BMVI19ab].
Die polygoCard vereint verschiedenste Mobilitätsdienstleistungen in der Stadt Stuttgart. Hierbei ist sie als E-Ticket für den ÖPNV (das entsprechende Abonnement wird auf der Chipkarte gespeichert), für das Freischalten und Nutzen von Car- und Bikesharing-Angeboten, für das Nutzen von Ladestationen für Elektrofahrzeuge und als Bibliotheksausweis einsetzbar [SSB20]. Zusätzlich wird an einer Integration von einer Routenplanungsfunktion für Radfahrende gearbeitet, indem verschiedene App-Lösungen unter dem Dach von polygo zusammengeführt werden [BMVI19ac].
Mit TicketEasy wird ein smartphonebasiertes Ticketingsystem erarbeitet, welches benutzte öffentliche Verkehrsmittel automatisch (mithilfe von Sensoren und Kennwerte wie Distanz und Dauer) erkennt und die zurückgelegten Fahrten berechnet. Die Konzeption der Plattform lässt in Zukunft eine problemlose Integration von anderen Mobilitätsdiensten wie beispielsweise Car- und Bikesharing zu [BMVI18ab].
Ansprechpartner
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Prof. Dr.-Ing. Plank-Wiedenbeck
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Einsatz von Iuk-Systemen zur Sicherstellung der individuellen Mobilität (Stand des Wissens: 17.10.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?388426
Elektronisches Fahrgeldmanagement (Stand des Wissens: 29.03.2020)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?340325
Literatur
[Ahre14] Gerd-Axel Ahrens, Jaennette Klotzsch, Rico Wittwer Autos nutzen, statt besitzen - Treiber des multimodalen Verkehrsverbundes, 2014/03
[BMVI18ab] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Ticket Easy - öffentliche Verkehrsmittel per App automatisch erkennen und bezahlen, 2018/11/13
[BMVI19ab] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) EiTicket Plus - Maximal mobil im Mühlenkreis, 2019/11/27
[BMVI19ac] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Multifunktionale App mit Information, Routing und Buchung von Leihfahrrädern und -pedelecs, 2019/07/12
[BMVI19i] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Gut angebunden mit Bus und Bahn, 2019/08/22
[Etic10] VDV eTicket Service GmbH & Co. KG Wiesbadener Erklärung, 2010
[Mert09] Frank Merten Die Multifunktionale Chipkarte, 2009
[RMV12] Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH (Hrsg.) eTicket RheinMain - Die Mobilitätskarte, 2012/04/18
[SSB20] Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) (Hrsg.) polygo - Mobilität und Services in der Region Stuttgart, 2020
[UITP11] UITP - Internationaler Verband für öffentliches Verkehrswesen Zum echten Mobilitätsanbieter werden, 2011/04
Weiterführende Literatur
[Nick13] Aljoscha Nick, Christian Scherf, Frank Wolter Die BahnCard 25 mobil plus, veröffentlicht in Deine Bahn, Ausgabe/Auflage 6/2013, 2013
[SSB14] Stuttgarter Straßenbahn AG Stuttgart Services - Vernetzt weiterkommen in Stuttgart und Region, 2014/12/17
Glossar
Bike Sharing Der Begriff Bike Sharing stammt aus dem Englischen und kann in etwa mit der Bedeutung „Fahrradverleih“ übersetzt werden. Er beschreibt die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Fahrrädern, die in der Regel von Unternehmen, Kommunen oder Kommunalverbänden bereitgestellt werden. Die Fahrräder stehen an öffentlich zugänglichen Stellplätzen zur Verfügung. Die Fahrräder können dabei an einer Station ausgeliehen und an einer anderen zurückgegeben werden. Dieses System ist besonders für die kurzfristige Nutzung der gegen ein Entgelt zur Verfügung gestellten Räder im urbanen Raum ausgelegt. Das Ziel ist, dass die Fahrräder möglichst vielen Nutzern pro Tag zur Verfügung stehen. Daher ist meist die erste halbe Stunde des Verleihs besonders günstig. Für eine längere Leihperiode bieten reguläre Fahrradvermieter jedoch meist die besseren Angebote.
App
Ist eine Abkürzung für den Fachbegriff Applikation (App) und bezeichnet eine Anwendungssoftware, die für mobile Endgeräte, wie Smartphone oder Tablet-PC entwickelt wurde. Apps können als Zusatzsoftware auf mobilen Endgeräten installiert werden und erweitern dadurch deren Funktionsumfang. Je nach Betriebssystem kann der Nutzer auf eine Vielzahl von mobilen Applikationen auf dem vom Betriebssystem bereitgestellten Marktplatz kostenpflichtig oder kostenlos zugreifen.
Umweltverbund
Unter dem Begriff Umweltverbund wird die Kooperation der umweltfreundlichen Verkehrsmittel verstanden. Hierzu zählen die öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus und Taxis), nicht motorisierte Verkehrsträger (Fußgänger und private oder öffentliche Fahrräder), sowie Carsharing und Mitfahrzentralen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Wege innerhalb des Umweltverbunds, anstatt mit dem eigenen Pkw, zurückzulegen. Zunehmend wird der Begriff Mobilitätsverbund genutzt.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?441353

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 12:33:55