Frankreich
Erstellt am: 28.08.2014 | Stand des Wissens: 12.12.2019
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Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Seit September 2007 werden rollende Landstraßen-Verbindungen in Frankreich durch Lorry-Rail S.A. betrieben, einem luxemburgischen Transportunternehmen und Tochter der Frachtsparte SNCF GEODIS der Société Nationale des Chemins de fer Francais (SNCF); Miteigner sind die staatliche Eisenbahngesellschaft Luxemburgs (Société Nationale des Chemins de fer Luxembourgeois, CFL) und der französische Hersteller von Verkehrstechnik "Lohr Industrie S.A.".
Die erste von Lorry-Rail betriebene "autoroute ferroviaire Perpignan-Luxembourg" (AFPL), eine Autobahn auf Schienen, zwischen Perpignan (Terminal du Boulou, französisch-spanische Grenze) und Luxemburg (Terminal de Bettembourg) ist Teil des zum Kernnetz des geplanten Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) gehörenden multimodalen "Mittelmeer-Korridor" (Abbildung 1). Seit 2010 wickelt das Unternehmen darüber täglich vier etwa 750 Meter Shuttlezüge ab. Laut Lorry-Rail trug die "Rollende Landstraße" seitdem dazu bei, 190.000 schwere Lkw-Fahrten von der Straße auf die Schiene zu verlagern. 2012 wurden so nach Angaben des Betreibers etwa 45.000 Tonnen CO2-Emissionen vermieden [GEODIS12a; MEDDE13a; Wein13a, S. 627].
Zwischen dem 19. und 20. Dezember 2011 fuhr erstmals in der französischen Eisenbahngeschichte ein mit 850 Metern überlanger Güterzug auf der AFPL. Er bestand aus 24 Niederflur-Doppelwagen (Typ "Modalohr") mit 48 transportierten Sattelaufliegern, war 2.400 Tonnen schwer und benötigte bei durchschnittlich 100 Kilometer pro Stunde Fahrtgeschwindigkeit rund 15 Stunden Fahrtzeit (inkl. Fahrtunterbrechungen) für die 1.045 Kilometer lange Strecke. Die Traktion wurde von einer Lokomotive der Baureihe (BR) 27000 als Zuglok und einer Lokomotive der BR 37000 innerhalb des Zugverbandes sichergestellt. Im Vergleich zu den üblicherweise eingesetzten 750 Meter langen Güterzügen, die in der Regel mit 18 Modalohr-Waggons unterwegs sind, konnte mit diesem Testzug eine Kapazitätssteigerung von 33 Prozent erreicht werden [GEODIS12a; MEDDE13a].
Damit überlange Züge die AFPL und weitere Strecken des französischen Schienennetzes befahren können, waren umfangreiche Vorarbeiten notwendig. Réseau ferré de France (RFF, der staatliche französische Schienennetzbetreiber) überprüfte im Vorfeld alle notwendigen Netzabschnitte im Hinblick auf den Anpassungsbedarf der Infrastruktur. Neben der AFPL wurden unter anderem folgende Strecken (Abbildung 1) untersucht:
- Rangierbahnhof (Rbf) Paris-Valenton - Marseille (teilweise Bestandteil des TEN-V-Korridors "Nordsee - Mittelmeer-Korridor")
- Calais Luxemburg (Terminal de Bettembourg)
RFF, "SNCF INFRA" (Infrastruktur-Sparte der SNCF) und die Eisenbahnverkehrsdirektion (Direction de la Circulation Ferroviaire, DCF) setzten die für die AFPL erforderlichen Genehmigungen und Anpassungen der Infrastruktur innerhalb eines Jahres um. Mittlerweile sind etwa 2.200 Kilometer des französischen Streckennetzes für 850 Meter lange Züge überprüft und zugelassen [GEODIS12a; 4, 27.1.14; Meil14, S. 139; MEDDE19; Wein13a].
Als eines der ersten Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) fuhr TM3 im Auftrag der Euro Cargo Rail (ECR), einer Tochter der DB Schenker Rail GmbH, am 10.01.2013 einen regulären, 833 Meter langen Güterzug mit durchschnittlich 120 Kilometer pro Stunde auf der 848 Kilometer langen Strecke von Paris nach Marseilles (Abbildung 1). Das EVU bedient diese Strecke fünfmal die Woche [DBAG12ab, S. 6]. SNCF GEODIS (Güter- und Logistikverkehrssparte der SNCF) nahm am 19.01.2012 auf der AFPL den planmäßigen Betrieb mit überlangen Güterzügen auf und fährt seitdem einen von täglich vier Shuttlezügen als überlange "rollende Landstraße" (Niederflur-Doppelwagen vom Typ "Modalohr") auf dieser Strecke. Diese Züge haben eine Länge von 850 Meter und ein Gewicht von 2.400 Tonnen [Müll12; MEDDE13a].
Rekordzug mit 1.500 Meter Länge
Fret SNCF (französischer Anbieter im Schienengüterverkehr) stellte am 18.01.2014 mit der Fahrt eines etwa 1,5 Kilometer (1.476 Meter) überlangen Güterzugs zwischen dem Rbf Lyon-Sibelin und dem 265 Kilometer entfernten Nîmes einen neuen Europarekord über die gefahrene Gesamtzuglänge auf. Der Zug wog 3.309 Tonnen und bestand aus drei, vom EVU Kombiverkehr auf der AFPL-Verbindung betriebenen regulären Shuttlezügen sowie einigen beigestellten SNCF-Waggons. Insgesamt setzte sich der Zugverband aus 63 Waggons mit Wechselbehältern und zwei Prima-E-Lokomotiven BB 37000 (Alstom) der SNCF-Tochter Akiem zusammen. Dabei wurde die unbemannte, etwa 800 Meter hinter der Zugspitze eingeordnete zweite E-Lokomotive per Funkfernsteuerung von der Spitzenlok aus kontrolliert. Die Ausrüstung für die Funkfernsteuerung kommt von der Schweizer Firma Faiveley Transport und wurde bei Fahrversuchen auf einer Teilstrecke der AFPL (Lyon - Terminal du Boulou bei Perpignan) ausführlichen Prüfungen unterzogen [Müll14, S. 5; Meil14, S. 139]. Am 12.04.2014 wurde auf dem gleichen Streckenabschnitt ein weiterer, mit 1,5 Kilometer überlanger Güterzug getestet. Bei diesem zweiten, 1.520 Meter langen und 4.100 Tonnen schweren Versuchszug wurden zwei reguläre Shuttle (820 Meter, 700 Meter) von zwei Diesellokomotiven Vossloh Euro 4000 gezogen. Die Traktionsverteilung entsprach der des ersten Testzuges [Rich14, S. 9].
Um diese Fahrten in die Tat umzusetzen, bedurfte es zwei Jahre der Vorbereitungen, an der unter anderem SNCF, RFF und weitere 14 Partner beteiligt waren (unter anderem EU, UIC, UNIFE, die Hersteller Alstom und Vossloh, die EVU Kombiverkehr und Italcontainer). Nach Angaben von RFF ist bei den 1,5 Kilometer langen Güterzügen eine Verdoppelung der Transportkapazität möglich - bei nur 20 Prozent mehr Aufwand für die Strecken[ertüchtigung] und Anpassung der eingesetzten Zug-, Leit- und Sicherungstechnik. Die Testzugfahrt wurde im Rahmen des EU-Forschungsprojektes "MARATHON" (7. EU-Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung) durchgeführt und sollte zeigen, ob die Infrastruktur- und Streckeneinrichtungen (Brücken, Oberbau, Lichtraumprofile und weitere), Betriebseinrichtungen (zum Beispiel Leit- und Sicherungstechnik) sowie das technische Equipment (unter anderem Brems- und Steuerungstechnik der Fahrzeuge) für Züge mit 1.500 Meter Länge geeignet und problematische [Teil]prozesse wie etwa die Längsdynamik des Zuges oder Kurvenfahrten durchführbar sind. Die Versuche dienten auch der Vorbereitung auf den Praxisbetrieb von derartigen überlangen Güterzügen [Müll14, S. 5; Meil14, S. 139].
Frankreich treibt seine Ausbauplanungen voran: So sollen die Hauptstrecken (Abbildung 1) seines Eisenbahnnetzes zukünftig für 1.050 Meter lange und bis zu 3.000 Tonnen schwere Güterzüge gerüstet sein. Dabei wurde im Rahmen eines im März 2014 vergebenen Konzessionsvertrags die "VIIA Atlantique" (Dachmarke der "autoroutes ferroviaires" der SNCF) mit dem Bau sowie fünfzehnjährigen Betrieb der Achse Tarnos (Landes) Dourges (Pas-de-Calais) beauftragt. Die Strecke ist Teil des zum Kernnetz des geplanten Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) gehörenden multimodalen "Atlantik-Korridor". Sie soll laut Vertrag von VIIA Atlantique bis 2016 mit 82 Millionen Euro für den Betrieb von 1.000 Meter langen Zügen in bis zu vier Shuttle-Verbindungen täglich vorbereitet werden. Mit dem Betrieb der überlangen Züge sollen bis zu 85.000 schwere Lkw-Fahrten und 100.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr vermieden werden. Insgesamt ist die Inbetriebnahme von bis zu 1.500 Meter langen Güterzügen auf allen Hauptstrecken in Frankreich ab 2016 vorgesehen [GEODIS12a; Müll14, S. 5; Rich14, S. 9; MEDDE14; GEODIS12; Wein13a, S. 627].