Praxisbeispiele und internationale Entwicklung
Erstellt am: 28.08.2014 | Stand des Wissens: 12.12.2019
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Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
In der Bundesrepublik Deutschland wird im Rahmen der Projektreihe "Längere Güterzüge" seit 2006 die Erweiterung der Zuglänge über die heute noch übliche, maximal zulässige Gesamtzuglänge von 740 Meter auf 1.500 Meter verfolgt. Dafür sollen Forschungsvorhaben und Testzugfahrten in 3 Stufen die grundsätzliche technische Machbarkeit (Infrastruktur, Fahrzeug[betrieb]) von sogenannten "überlangen" Güterzügen auf ausgewählten Korridoren ermitteln und den Praxisbetrieb - soweit möglich - vorbereiten. Im Vordergrund stehen die
- Wettbewerbsfähigkeit und damit einhergehend eine Steigerung der Rentabilität des Schienengüterverkehrs (SGV),
- die Erhöhung des Marktanteils des SGV im Transit- und Seehafenhinterlandverkehr sowie
- der Ausbau des Umweltvorteils des Rad-Schiene-Systems durch effizienteren Ressourceneinsatz.
In Stufe 1 konnte nach erfolgreichem Testlauf des sogenannten "Demonstrators" (Testzug) im Dezember 2012 der Regelbetrieb mit 835 m langen Güterzügen auf der dafür ausgebauten Strecke zwischen Padborg (Dänemark, DB Netz AG-Grenze) und Maschen Rangierbahnhof (südlich von Hamburg) aufgenommen werden. Sie ist Teil des zum Kernnetz des geplanten Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) gehörenden multimodalen Korridors "Skandinavien - Mittelmeer" [Schu09b; BMWI07b; DBAG12w, S. 2]. Diese Transportrelation wurde 2016 bin in den Hamburger Hafen (Hohe Schaar) erweitert [DBNe15a].
Derzeit untersucht der Deutsche Bahn AG Konzern (DB AG) in Kooperation mit der DB Netz AG und der Railion Deutschland AG (heute: DB Schenker Rail GmbH) im Rahmen der Stufe 2 die Machbarkeit von 1.000 Meter langen Güterzügen. Das sogenannte Projekt "GZ 1000" verläuft in Zusammenarbeit mit der niederländischen Betreibergesellschaft "Keyrail BV" der Betuweroute (Rotterdam - Oberhausen) und unter fachlicher Begleitung der Hamburger Hochbahn AG. Im November 2009 wurden dafür von der DB AG und Keyrail zwei 1.000 Meter lange Güterzüge mit jeweils 44 beziehungsweise 41 Container-Tragwagen und einem Gesamtgewicht von je etwa 2.400 Tonnen auf der 160 Kilometer langen Betuwe-Linie im Praxisbetrieb getestet. In einer daran anschließenden dritten Stufe ist geplant, die Praktikabilität von 1.500 Meter langen Güterzügen bis 2016 zu prüfen. Als Testgebiet ist, neben anderen, der Rhein-Korridor vorgesehen [BMWI07b; BMWI07b; DBAG09p, S. 7; DBAG09h, S. 17; Fied11]. In den letzten Jahren ließen die Bestrebungen nach längeren Güterzügen nach, weil zunächst der Fokus auf den Ausbau des 740-Meter-Streckennetzes gelegt wurde, bevor längere Güterzüge realisiert werden. Nur 11 Prozent der Züge auf dem deutschen Streckennetz erreichen die zulässige Gesamtlänge von 740 Metern [VeRua18].
Europäische Union
In Frankreich wurden von 2011 bis 2014 im Rahmen des EU-Forschungsprojektes "Make Rail The Hope for protecting Nature" (MARATHON) die Möglichkeiten zur Rückverlagerung von Frachttransporten von der Straße auf die Schiene ausgelotet. Das Projekt stellt das europäische Forschungs-Pendant zur national durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten deutschen Projektreihe "Längere Güterzüge" dar. Bei MARATHON konzentrierte man sich vornehmlich auf die Betriebserprobung von 1.500 Meter langen Güterzügen auf der französischen Schienenverbindung "autoroute ferroviaire Perpignan-Luxembourg" (AFPL) zwischen Perpignan (Terminal du Boulou, französisch-spanische Grenze) und Luxemburg (Terminal de Bettembourg). Am 18. Januar 2014 stellte "Fret SNCF", der Bahnspediteur der Société Nationale des Chemins de fer Francais (SNCF), mit einem aus 63 Waggons bestehenden, 1.476 Meter langen und 3.309 Tonnen schweren Güterzug auf der 265 Kilometer langen AFPL-Strecke den Europarekord für lange Güterzüge auf [Müll14, S. 5; Meil14, S. 139].
Nordamerika und Australien
Durch die räumlichen und topografischen Gegebenheiten sind Flächenländer wie Australien, die USA oder auch Kanada geradezu prädestiniert für den Betrieb überlanger Güterzüge. Die Streckennetze in diesen Ländern sind entsprechend weitmaschig und haben weniger räumliche Zwangspunkte als die Netze im eher kleinteiligen Europa. Besonders in Nordamerika entwickelte sich dank einer erfolgreichen Marktöffnung (Deregulierung durch sogenannte Staggers Rail Act) Ende der 1970er Jahre - nach dem Niedergang der staatlich stark reglementierten Eisenbahngesellschaften - ein dynamischer Wettbewerb im Schienengüterverkehr (SGV). Dazu beigetragen haben die Konzentration der verbliebenen Eisenbahngesellschaften auf profitable Hauptrouten, die Steigerung der Effizienz bei Transport und Betrieb des SGV sowie die Herstellung einer technologischen Interoperabilität der Infrastruktur (zum Beispiel durchgehend hergestellte Normalspurweite) und Fahrzeuge (automatische Kupplungen bei allen Fahrzeugen). Heute fährt beispielsweise die "Canadian Pacific Railway" auf ihrer transkontinentalen Strecke überlange Güterzüge mit bis zu 4.200 Meter Länge [Gerl12, S. 31. f.; Barr11].
In Australien setzte zeitverzögert mit der von der 1998 privatisierten australischen Bundeseisenbahn "Australian National" begonnenen Errichtung eines durchgehenden Normalspurnetzes (1.435 Millimeter) ein Prozess ein, der die Herstellung der Interoperabilität und die damit verbundene Effizienzsteigerung des dortigen SGV-Betriebs zum Ziel hatte. Heute werden im Westen des Landes Erzzüge mit einer Länge von 2.000 Metern und verteilten Traktionen gefahren [Date09, S. 22 ff.; DoON92; BHP14, S. 31].