Betriebskonzept und Kompatibilität zu bisherigen Produktionssystemen
Erstellt am: 28.08.2014 | Stand des Wissens: 17.12.2019
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Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Dem Betrieb von überlangen Güterzügen stehen derzeit in der Bundesrepublik Deutschland mehrere infrastrukturelle und betriebstechnische Hürden entgegen, die es zuerst zu überwinden gilt. Dazu zählen die Gleisinfrastruktur, der in Deutschland übliche Mischbetrieb und die sogenannte Zuglängendynamik.
Die derzeitige Gleisinfrastruktur auf freier Strecke und in Rangierbahnhöfen (Rbf) ist in Westdeutschland in der Regel für Züge bis zur maximal zulässigen Gesamtzuglänge von 740 Metern ausgelegt. In vielen Fällen sind Zugbildungs-, Zugzerlege-, Überholungs- und Kreuzungsgleise jedoch wesentlich kürzer. Auf dem Gebiet der östlichen Bundesländer etwa sind diese aufgrund historischer Gegebenheiten fast ausschließlich 640 Meter lang [DBNAG12a, Modul 408.0711 Punkt 1; HTC13, S. 226]. Um überlange Güterzüge mit einer Länge über 740 Metern betreiben zu können, sind umfangreiche und kostenintensive Anpassungen der Infrastruktur notwendig. So kostete beispielsweise die Streckenertüchtigung der etwa 210 Kilometer langen Strecke Padborg (Dänemark) Maschen Rbf (Versetzen von Signalen, Austausch Gleisfreimeldeanlagen, und weitere Maßnahmen) für 835 Meter lange Güterzüge rund 10 Millionen Euro [DBAG12w]. Das Bundesverkehrsministerium kalkuliert den Aufwand für die Beseitigung aller Netzengpässe auf 405 Millionen Euro und schätzt den Kosten-Nutzen-Faktor mit 4,8 als sehr hoch ein [ApS18b].
"Bei den Mischverkehrsstrecken in Europa war und ist im Sinne einer hohen Kapazität der Strecken erforderlich, dass Güterzüge möglichst nah an den Geschwindigkeitsbereich der Personenzüge herankommen. Dies führte zu [...] verhältnismäßig kurzen Zügen mit stark wirkender Bremse." [Stuh13a, S. 64]. Da Güterzüge in Deutschland mit den schnelleren und mitunter erheblich kürzeren Personenzügen auf gleicher Strecke im Mischverkehr "mitschwimmen" müssen, wirkte sich hier der von der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) zugelassene kürzeste Abstand zwischen zwei Hauptsignalen (950 Meter) hinsichtlich des Einsatzes überlanger Güterzüge sehr einschränkend aus [SiSt12, S. 12].
Die sog. "Zuglängsdynamik" kann innerhalb eines überlangen Güterzugs beim Anfahren und Bremsen der Zuglokomotive zu hohen Zug- oder Druckkräften in der Längsrichtung führen. Diese Zuglängskräfte entstehen durch die heute bei Güterwagen üblichen pneumatischen Bremssysteme, die bei langen Zügen eine ungleichmäßige Bremswirkung im Zugverband nach sich ziehen. In ungünstigen Fällen, gerade im heterogenen Einzelwagenzug, können durch sie eine Zug- beziehungsweise Wagentrennung oder sogar eine Entgleisung ausgelöst werden [CaKa09, S. 234; VoSa98, S. 606 ff.].
Betriebskonzept überlanger Güterzüge
Da die fahrzeugtechnischen Restriktionen bereits seit mehreren Jahren beziehungsweise Jahrzehnten durch technische Ansätze (zum Beispiel automatische Mittelpufferkupplung zur Aufnahme größerer Zuglängskräfte, elektronische Bremssteuerung für homogenen Zugverband, verteilte Traktionen mit Funksteuerung) überwunden sind, muss sich das Betriebskonzept für überlange Güterzüge in Deutschland an der starr vorgegebenen und nur schwer veränderbaren Gleisinfrastruktur ausrichten. Aufgrund der zu kurzen Gleise in Zugbildungsanlagen und der nachweislich nur bei homogenen Ganzzügen zum Tragen kommenden elektronischen Synchronansteuerung von elektropneumatischen Bremsen erweist sich das Produktionssystem des Einzelwagenverkehrs als ungeeignet für die Abwicklung von unterschiedlich beladenen überlangen Güterzügen [Stuh13a, S. 67 ff.].
Für den Betrieb von überlangen Zügen bietet sich sowohl aus fahrzeugtechnischer als auch aus betrieblicher Sicht der Produktionsbereich des Direktzugs im Kombinierten Verkehr (KV) beziehungsweise der Ganzzugverkehr (Massenfrachtgut, Containerverkehr) an. Unter den Voraussetzungen, dass
- eine entsprechende Nachfrage zwischen Start- und Endpunkt (KV-Terminal, Gleisanschlüsse von Großkunden), zum Beispiel nach Rohstoffen wie Kohle, Erze, besteht beziehungsweise
- kleinteilige Fracht an KV-Terminals in Containern bereits gesammelt vorgehalten beziehungsweise dort später wieder abgeholt wird und
- entsprechend infrastrukturell vorbereitete Güterzugkorridore (zum Beispiel Routen des Seehafenhinterlandverkehrs, Primary European Rail Freight Network, Alpentransit) zur Verfügung stehen,
