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Werte und Selbstbild älterer Verkehrsteilnehmer

Erstellt am: 13.08.2012 | Stand des Wissens: 01.03.2019
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Im Allgemeinen ist das Führen eines Kraftfahrzeugs positiv mit Lebensqualität, funktioneller Unabhängigkeit und körperlicher sowie geistiger Gesundheit verbunden [Lietal03].

Das Autofahren scheint zudem den körperlichen und geistigen Abbau im Alter zu verzögern, da es die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte sowie Aktivitäten des täglichen Lebens erleichtert [Ber11]. Darüber hinaus existieren Hinweise, dass der Verlust der Mobilität mit Depressionen verbunden ist [Fon01]. Das Risiko andauernder Pflegebedürftigkeit ist dementsprechend fünfmal höher für Menschen, die länger als sechs Monate nicht mehr Auto gefahren sind [Fretal06]. Die Mobilität kann daher als entscheidender Faktor zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität im Alter betrachtet werden.

Die Pkw-Verfügbarkeit ermöglicht eine unabhängige und aktive Lebensgestaltung. Sie hat somit Einfluss auf ein positives Selbstbild, welches wesentlich das Wohlbefinden, die psychische Gesundheit beeinflusst und erfolgreiches Altern unterstützt [Fretal06]. Altersbedingte Defizite scheinen dabei das Selbstbild eher weniger bis gar nicht zu beeinflussen [Kai08]. Dies betrifft ebenfalls die Selbsteinschätzung der Fahrfähigkeit älterer Autofahrer. Generell schätzen ältere Menschen ihre Fahrfähigkeit eher positiv ein [Rietal11]. Ein Vergleich des mobilitätsbezogenen Selbstbilds jüngerer und älterer Kraftfahrer zeigt, dass die Hälfte der befragten Teilnehmer sich als überdurchschnittlich gute Autofahrer einschätzen [Rietal11]. Beim Vergleich des mobilitätsbezogenen Selbstbilds innerhalb der älteren Altersgruppe schätzen sich zwei Drittel der älteren Autofahrer bezüglich ihrer Fahrfähigkeit besser ein als andere Altersgenossen (siehe Abbildung 1) [Rietal11].
Abbildung 1: Ergebnis zur Frage "Was glauben Sie, wie gut beziehungsweise schlecht Sie verglichen mit anderen Fahrerinnen und Fahrern Ihres Alters abschneiden würden?" [nach Rietal11, S. 16]
Zudem beurteilen sich Ältere im Vergleich zu jüngeren Autofahrern als gleich gut, fast ein Drittel sogar als besser. Die positive Selbsteinschätzung Älterer bezüglich ihrer Fahrgeschwindigkeit im Vergleich zu jüngeren sowie ihrer eigenen Altersgruppe zeigen in die gleiche Richtung. Hinsichtlich ihres Fahrstils schätzen sich ältere Fahrer als sicherer, vorsichtiger,, geduldiger, nachgiebiger, friedlicher, mustergültiger, aufmerksamer und vorausschauender aber auch eher überforderter ein, als jüngere Fahrer [Rietal11]. Demgegenüber steht das eher negative Fremdbild jüngerer Autofahrer über ältere Autofahrer. Bezüglich der Kompensationsmöglichkeiten altersbedingter Defizite zeigen sich auch hier große Unterschiede. Ältere Autofahrer sind überzeugt davon, altersbedingte Veränderungen ausgleichen zu können. Demgegenüber glauben nur 30 Prozent der jüngeren Autofahrer, dass Ältere zu derartiger Kompensation in der Lage sind (siehe Abbildung 2) [Rietal11]. Dieses positive Selbstbild älterer Autofahrer beeinflusst einerseits das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit im Alter positiv. Anderseits können ältere Fahrer so in Situationen geraten, die sie an ihre Leistungsgrenzen führen und Unfallrisiken bergen.
Abbildung 2: Ergebnis zur Frage: "Glauben Sie, dass Sie beziehungsweise Ältere in der Lage sind, mögliche altersbedingte Veränderungen auszugleichen (zum Beispiel durch Ihre Erfahrung)?" [nach Rietal11, S. 19]
Der Verlauf von Werthaltungen und Motiven über die Lebensspanne sowie der Entwicklungsverlauf von verkehrsrelevanten Persönlichkeitseigenschaften wie beispielsweise die Zunahme von Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit oder eine Abnahme von Aggressivität begünstigen eine positive Entwicklung des Fahrstils über die Lebensspanne [Her08]. Zudem wirken sich eine Konformitätszunahme sowie steigende Sicherheitsbedürfnisse im Alter positiv auf den Fahrstil aus [Her08]. Allerdings zeigt sich mit zunehmendem Alter ein Anstieg der Reaktanz, umgangssprachlich auch "Altersstarrsinn" genannt. Dies kann zu einer Verringerung der Sicherheit des Fahrstils beitragen, zum Beispiel dann, wenn funktionale verkehrsrelevante Beeinträchtigungen durch den Betroffenen selber unberücksichtigt bleiben.

Zusammenfassend ist anzumerken, dass die Entwicklung von verkehrssicherheitsrelevanten Persönlichkeitsmerkmalen und Werten im Alter einen positiven Einfluss auf die Verkehrsteilnahme ausüben. Die Älteren sind hoch motiviert ihre selbstständige Mobilität zu erhalten gleichzeitig fehlt oft älteren Menschen die Einsicht in ihre schwächer werdenden sensorischen, kognitiven und motorischen Fähigkeiten. Die gesamte Gesellschaft sollte daher sensibel und rücksichtsvoll mit altersbedingten, verkehrsrelevanten Veränderungen umgehen, um so auch indirekt zur Verkehrssicherheit beizutragen.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Mobilität älterer Menschen (Stand des Wissens: 01.03.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?399136
Literatur
[Ber11] Berry, C. Can older drivers be nudged? How the public and private sectors can influence older drivers' self-regulation, London, 2011
[Fon01] Fonda, S. J., Herzog, A. R., Wallace, R. B., Changes in Driving Patterns and Worsening Depressive Symptoms Among Older Adults., veröffentlicht in Journal of Gerontology: SOCIAL SCIENCES, Ausgabe/Auflage 56B, 2001
[Fretal06] Freeman, E. E., Gange, S. J., Muñoz, B., West, S. K. Driving Status and Risk of Entry into Long-Term Care in Older Adults, veröffentlicht in American Journal of Public Health, Ausgabe/Auflage 96(7), 2006
[Her08] Herzberg, P. Y. Soziale Entwicklung im hohen Erwachsenenalter aus verkehrspsychologischer Perspektive, veröffentlicht in Leistungsfähigkeit und Mobilität im Alter , TÜV Media GmbH / Köln, 2008
[Kai08] Kaiser, H. J. Sozialpsychologie des Alterns , veröffentlicht in Gerontopsychologie, Wien/ New York: Springer, 2008
[Lietal03] Li, G., Braver, E. R., Chen, L.-H. Fragility versus excessive crash involvement as determinants of high death rates per vehicle-mile of travel among older drivers, veröffentlicht in Accident Analysis and Prevention, Ausgabe/Auflage 35, 2003
[Rietal11] Richter, J., Schlag, B., Weller, G. Selbstbild und Fremdbild älterer Autofahrer [Self-image and public image of elderly drivers], veröffentlicht in Zeitschrift für Verkehrssicherheit, Ausgabe/Auflage 57 (1), 2011
Weiterführende Literatur
[Bei11a] Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Sicherheit zuerst - Möglichkeiten zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit in Deutschland - Teil 2, veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik, Ausgabe/Auflage 3.2011, Kirschbaum Verlag GmbH, 2011/03
[LeGr08] Leipold, B., Greve, W. Sozialisation, Selbstbild und Identität, veröffentlicht in Handbuch Sozialisationsforschung, Weinheim: Beltz, 2008

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?396435

Gedruckt am Dienstag, 16. April 2024 14:15:41