Technische Innovationen im Einzelwagenverkehr
Erstellt am: 30.04.2012 | Stand des Wissens: 22.01.2018
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Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Die Modernisierung von Triebfahrzeugen und des Wagenparks haben im Schienengüterverkehr (SGV) in den vergangenen 40 Jahren zu insgesamt mehr Effizienz und geringerem spezifischen Energieverbrauch geführt. Rückblickend waren jedoch in der Anfangszeit noch Entwicklungen erkennbar, die in den letzten zehn Jahren nicht konsequent weiter verfolgt wurden [Spill13, S. 8]. Dabei können Innovationsstrategien durch technische Neuerungen die Produktqualität des SGV signifikant steigern und die Stückkosten erheblich senken. Überzeugende Konzepte sollten hier staatlich gefördert werden, wenn die Wirtschaft dadurch als Produzent und Nutzer profitiert (Konjunkturprogramm) und dies mit europäischem Recht vereinbar ist.
Aktuell wird zunehmend über enorme Marktpotenziale, aber auch über Probleme des Einzelwagenverkehrs (EWV) berichtet sowie über Nachteile und konzeptionelle Lösungsansätze derselben. Das Problem dieser Betrachtungen jedoch bleibt, dass die Lösungsvorschläge nicht über die Entwurfs- bzw. Prototyp-Phase hinausgehen. [Bold11, S. 31]
Die Durchsetzung von Innovationen geht angesichts der langen Lebensdauer von Güterwagen, der Erlösschwäche speziell im EWV und weiterer infrastruktureller Rahmenbedingungen nur sehr zögerlich vonstatten. Der Staat kann und wird neue Technologien daher nur in Ausnahmefällen fördern (z. B. Lärmschutzproblematik). So können bspw. automatische Kupplungen (AK) die Zugbildung in den Zugbildungsanlagen zwar vereinfachen, was aber nicht zwangsläufig zu prinzipiellen Verbesserungen im EWV führt. Der eigentliche wirtschaftliche Vorteil der AK (Bildung schwerer und langer Züge) kann nämlich nicht ausgespielt werden, solange die dafür notwendige [europäische] Interoperabilität bei Wagentechnik und Infrastruktur nicht gegeben bzw. durchgesetzt wird. So fehlen für lange Güterzüge zum Beispiel geeignete Überholstellen. [Spill13, S. 10; DBAG09p, S. 7]
Neben den für den gesamten SGV notwendigen Innovationen wie die mit der Schraubenkupplung kompatible automatische Mittelpufferkupplung (MPK), die Telematik am Güterwagen, Lärm reduzierende Technik bis hin zur Scheibenbremse könnten weitere, bereits entwickelte Technologien den EWV von morgen prägen [StBr10, S. 270]. Im Gleisanschluss könnten die elektrisch ortsbedienten Weichen (EOW), der Güterwagen mit Eigenantrieb für die letzte Meile (FlexCargoRail), moderne Rangierlokomotiven oder Zweiwegefahrzeuge als Rangiermittel des Kunden für einen effizienten Betriebsablauf sorgen [Scha11, S. 25]. Den EWV ergänzende Zugmodulkonzepte mit eigenem Antrieb könnten im Rahmen eines Train-Coupling and -Sharing-Systems (TCS) ein alternatives System darstellen. [Bold11, S. 27 ff.]
Innovationsbeispiele
Aufgrund des weiterhin hohen Anteils an Wagen mit technisch veralteten Grauguss-Klotzbremsen bleibt aber das Lärmproblem, das den SGV stark belastet. Es hat sich in den letzten Jahren zu einem existenzbedrohenden Faktor für den umweltfreundlichen SGV (z. B. Mittelrheintal) entwickelt. [Hein11a, S. 7] Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat sich daher zum Ziel gesetzt, den Lärm auf der Schiene bis 2020 (Bezugsjahr 2008) zu halbieren [Kloc14, S. 13]. Infolgedessen wurde zum Fahrplanwechsel 2012/13 das lärmabhängige Trassenpreissystem eingeführt, das einen Anreiz für die Umrüstung auf die leisere [Brems]Technik bieten soll. Ebenfalls wird ab 2020 ein Verbot für laute Güterwagen erlassen [BMVI15m]. Nach langjähriger Erprobung wurde die LL-Sohle zugelassen. Diese Verbundstoff-Bremssohle ist, genau wie die aufwendiger umzurüstende und daher teurere K-Sohle, um 10 dB (A) leiser als die Grauguss-Sohle. [SchRü13 S. 12; DBAG13c, S. 4; Eßli14 , S. 5].
Das Low-Cost-Denken im SGV verhindert bis heute den umfassenden Einsatz von Satellitenortung bei Güterwagen [Scha11, S. 27]. Einige Wagons privater EVU und auch etwa 13.000 Güterwagen des Deutsche Bahn AG Konzerns sind mit Satellitenortung ausgerüstet [BAV13a, S. 49]. Dies verbessert zwar das Flottenmanagement, ermöglicht jedoch noch keine zentrale Steuerung des SGV als Gesamtsystem. Die Vorteile eines High-Tech-Schienengüterverkehrs werden sich aber durchsetzen müssen, um langfristig gegenüber dem Lkw bestehen zu können.