Infrastrukturbezogene Hemmnisse im Einzelwagenverkehr
Erstellt am: 27.04.2012 | Stand des Wissens: 22.01.2018
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Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Die Eisenbahn-Bau- und -Betriebsordnung (EBO) gibt vor, dass ein Zug maximal so lang sein darf, wie es seine Bremsverhältnisse, Zug- und Stoßeinrichtungen und die Bahnanlagen zulassen [EBO, § 34 Abs. 8]. In den Nutzungsbedingungen der DB Netz AG wird dies durch die Vorgabe des Maximalwerts der Gesamtzuglänge von 740 m konkretisiert [DBNAG12a, Modul 408.0711, Punkt 1]; die Güterverkehrsinfrastrukturen sind dementsprechend darauf ausgelegt. Bei höheren Geschwindigkeiten und bestimmten Bremsverhältnissen muss die zulässige Länge auf höchstens 600 m reduziert werden (Bremsstellung P für Güterzüge). Dies ist der sog. Zuglängsdynamik geschuldet (Zug- und Druckkräfte bei Verwendung der Schraubenkupplung). Im Rahmen des Projektes GZ 1000 wurden im November 2009 Versuche mit Güterzügen bis 1.000 m Zuglänge erfolgreich durchgeführt. Ergebnis dieser Versuche ist eine Reduktion der Zugzahlen um 18%. Eine weitere Studie zeigt eine Einsparung von 50% bei einer Zuglänge von 1.500 m. Das Fahren mit solch langen Zügen wird derzeit in einem weiteren Projekt (GZ 1500) von DB Schenker Rail, der DB Netz AG und der DB Systemtechnik untersucht [CaMoKeJi]. In der anschließenden Projektstufe sollen bis zum Jahr 2016 Güterzüge mit bis zu 1.500 m Länge auf ihre Praktikabilität geprüft werden. Damit wären nennenswerte Effizienzsprünge möglich, allerdings überwiegend für den Ganzzugverkehr. Die Züge des Einzelwagenverkehrs (EWV) eignen sich nicht als überlange Züge aufgrund ihrer inhomogenen Zusammensetzung, Beladung und der damit verbundenen erhöhten längsdynamischen Probleme. [Stuh13a, S. 67 ff.; Rixn10, S. 9]
Die Güterzuggeschwindigkeit hängt von der Traktionsleistung und Wagenzuglast, von der Kupplungsart sowie den Brems- und Streckenverhältnissen ab. Die meisten Güterzüge erreichen mindestens 80 km/h, viele 100 km/h. Die maximale Fahrgeschwindigkeit liegt im Normalfall bei 120 km/h. [EBO, § 40 Abs. 2 Satz 2]] Auf wenigen Güterverkehrsstrecken mit besonderen Techniken (Linienzugbeeinflussung u. ä.) sind auch Geschwindigkeiten bis zu 160 km/h erreichbar. Technische Restriktionen (bspw. die max. Gleisüberhöhungen von 180 mm für den Güterverkehr), aber auch der Energieverbrauch lassen keine höheren Geschwindigkeiten zu. Insbesondere die Zerklüftung der Oberflächen von Güterzügen im EWV erhöht den Energiebedarf überproportional mit zunehmender Geschwindigkeit aufgrund des höheren Luftwiderstands. [UIC02e, S. 4]
Schienenfahrzeuge müssen so konstruiert sein, dass sie die für sie maximal festgelegten und zugelassenen Bezugslinien (sog. Lichtraumprofil) einhalten. Nach EBO gilt für Fahrzeuge, die im grenzüberschreitenden freizügigen Schienenverkehr eingesetzt werden sollen, die Bezugslinie G1 und für die übrigen Fahrzeuge die Bezugslinie G2 (Abbildung 1). [27191[legislation], § 22] Bei Lademaßüberschreitungen (LÜ-Sendungen) sind besondere betriebliche Maßnahmen erforderlich. [Jeli14, S. 41]

Infolge der vergleichsweise zahlreichen Leerwagen im EWV sind diese Züge selten schwerer als 1.400 Bruttotonnen und werden daher mit Einzeltraktion gefahren [WaKl02]. Die zulässige Radsatzlast (auch Achslast) in der Bundesrepublik Deutschland beträgt 22,5 t, auf ausgewählten Strecken 25 t. [SiSt12, S. 11] In der EBO wird bei den zulässigen Grenzwerten für die Radsatzlast zwischen Neu- und Ausbaustrecken differenziert sowie zwischen Oberbau und Bauwerken. So muss etwa der Oberbau bei einem Neubau eine Radsatzlast von mindestens 20 t und Bauwerke eine Radsatzlast von mindestens 25 t tragen können. [EBO, § 8 Abs. 2 und 3]
Zusammengefasst bestehen für Güterzüge des EWV in Deutschland folgende infrastrukturell bedingte Restriktionen hinsichtlich der Zugbildung und des Betriebs:
- Zuglänge max. 600/700 m
- Radsatzlast bis 22,5 t
- Lichtraumprofil: Bezugslinie G1/2
- Vmax = 80/100/120 km/h im Profil G2
[SiSt12, S. 12]
Engpässe im Schienennetz
Der Trend zum direkten Zug zwischen wenigen Grenzübergängen, Seehäfen und den großen Zugbildungs- oder Umschlagbahnhöfen führt zur Konzentration der Güterzüge auf die wichtigsten Korridore. Hier verkehren auch die nationalen Züge zwischen den Zugbildungsbahnhöfen des EWV. Die steigenden Transportweiten und der veränderte Rhythmus in den Schnittstellen der Wirtschaft verlagern die [Ideal]trassen des Schienengüterverkehrs (SGV) von den Nachtstunden auf den gesamten Tag. Deshalb wachsen die Trassenkonflikte mit dem Personenverkehr. Verstärkt wird dieser Konflikt noch dadurch, dass der SGV immer weniger mittel- bis langfristig planbar ist. Die Transportkontrakte haben immer kürzere Laufzeiten, weil die Verlader aus der Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen Anbietern einen Vorteil ziehen wollen. Daher werden schon sehr viele SGV-Trassen unterjährig, also eher spontan in den Fahrplan aufgenommen. [SiSt12, S. 12]
Die Lösung der Kapazitätsprobleme der bestehenden, hochbelasteten Netztrassen und Korridore ist u. a. in der Entmischung von schnellen und langsamen Zügen zu suchen. Dies erfordert jedoch den Bau zusätzlicher Trassen für den SGV, den Schienenpersonennah- und den [schnellen] Schienenpersonenfernverkehr (z. B. ICE/IC). Bei hoher Zugfrequenz ist auch die S-Bahn auf eigenen Gleisen zu führen. Dieser Ansatz sollte in dem vom Deutsche Bahn AG Konzern (DB AG) erarbeiteten Konzept "Netz 21" umgesetzt werden; Netz 21 wird jedoch nicht mehr konsequent verfolgt, auch weil es mit erheblichen Investitionen verbunden ist. [StPa96, S. 525; Fric01, S. 11]
Die DB AG verfolgt heute stattdessen ein Wachstumsprogramm, mit dem vorhandene Trassen ausgebaut werden sollen, um Bypässe für das Netz zu schaffen. Dazu zählen u. a. die linksrheinische Achse, die Achse Hagen-Frankfurt und der sog. Ostkorridor Hamburg-Uelzen-Stendal-Magdeburg-Halle-Hof-Regensburg. Für die politisch gewollte Verlagerung von Langstreckenverkehren von der Straße auf die Schiene wäre ein massiver Ausbau der reinen Güterzugstrecken auf den heute schon überlasteten Relationen nötig. [Sieg10b]
Ein zusätzliches infrastrukturelles Hemmnis des EWV ist die Trassenbündelung von Güterzügen, die durch Projekte wie etwa dem "Produktionssystem 200X" und "MORA C" zusätzlich forciert werden. Dabei findet eine Konzentration auf weniger Knoten und Relationen statt, die regelmäßig bedient werden, sodass dies einer faktischen Abkehr von der Flächenbedienung gleichkommt, die für den EWV jedoch essentiell ist. Die Bündelung von Netztrassen führt im Ergebnis - durch die damit zwangsläufig einhergehende Konzentration von infrastrukturellen Maßnahmen auf wenige Korridore - zu weiteren Netzengpässen und Trassenkonflikten. [SiSt12, S. 12 ff.]