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Räumliche Verflechtungen

Erstellt am: 27.06.2011 | Stand des Wissens: 09.01.2020
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Aufgrund der räumlichen Verteilung der Bevölkerung sowie deren Wohn- und Arbeitsstätten, welche sich meist nicht am selben Ort befinden, entstehen räumliche Verflechtungen und Verkehr. "Die räumliche Funktionsteilung zwischen den einzelnen Aktivitäten wie Wohnen, Arbeiten, sich Bilden, sich Versorgen oder Freizeitgestaltung erfordert entsprechende Austauschbeziehungen, die vielfältige Verkehrsvorgänge zur Folge haben" [BBR05a, S. 71].
Somit hat die Raum- und Siedlungsstruktur Auswirkungen auf das Verkehrsgeschehen, doch diese Beeinflussung geschieht ebenso in umgekehrter Folge. Die verkehrliche Lagegunst als auch die Erreichbarkeit der Standorte werden maßgeblich bestimmt von der Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems. "Über die Ausbauqualität des Verkehrssystems werden damit die Voraussetzungen für mehr oder minder intensive funktionale Austauschbeziehungen zwischen den einzelnen Standorten geschaffen" [BBR05a, S. 71].
Ein weiterer wichtiger Bestimmungsfaktor sind die zunehmenden, sich wandelnden Lebensstile, der Lebensstandard und Motorisierungswünsche. Durch die Pluralisierung der Lebensstile entstehen vielseitigere Mobilitätsformen und -ansprüche. "Typisch für die moderne Arbeits- aber auch Freizeit- und Erlebnisgesellschaft ist der veränderte Umgang mit Raum und Zeit mit der Tendenz zu steigenden Wegelängen und zur Ausweitung der Aktionsräume" [BBR05a, S. 71]. Beispielsweise wird in der für den Bundesverkehrswegeplan 2014 erstellten Verkehrsprognose 2030 dem Personenkraftwagen (Pkw) eine wichtige Rolle für die Freizeitmobilität zugeschrieben [ITP14a].
Bei den Verflechtungen im Personenverkehr ist anzumerken, dass die verschiedenen Verkehrsträger unterschiedliche Leistungsmerkmale besitzen. Die Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs (ÖPNV) hängt von den vier Faktoren Siedlungsstruktur, Einkommen, Alter der Person und der Qualität des ÖPNV-Angebotes ab und dient eher der linienhaften Erschließung des Raumes mit einer großen Leistungsfähigkeit, wohingegen der motorisierte Individualverkehr (MIV) eine individuelle Flächenerschließung ermöglicht. Entsprechend besitzen in Kernstädten wohnende Haushalte häufiger ÖPNV-Zeitkarten oder -Abonnements und seltener eigene Pkw als Haushalte in ländlichen Kreisen [ITP14a]. Je nach Fahrtzweck entstehen unterschiedliche räumliche Verflechtungen, wodurch bestimmte räumlich verteilte Funktionen begünstigt werden [BBR05a].
Aufgrund des hohen Anteils am Verkehrsaufkommen ist die künftige Entwicklung des MIV bedeutsam. Der im Rahmen des demographischen Wandels stark zunehmende Anteil von Senioren mit Pkw-Verfügbarkeit wächst, die Zahl der Senioren ohne Pkw bleibt konstant [infas10, SrV09a]. Allerdings sinkt der Wegeaufwand, zunächst die Fahrleistung und ab etwa 70 Jahren geht bei den Senioren auch die Zahl der täglichen Wege stark zurück [SrV13]. Hierdurch werden die Effekte durch eine höhere Motorisierung kompensiert. Die Mobilitätserhebungen "Mobilität in Deutschland 2008" [infas10] und Mobilität in Städten SrV 2013 [SrV13] haben mit ihren Erhebungen im Jahre 2008 und 2013 ermittelt, dass insgesamt die Verkehrsleistung im Personenverkehr mit Autos gesunken ist. Neben den weniger mobilen Senioren ab 60 ist dieser Effekt auch auf Reurbanisierungstendenzen und einer teilweise veränderten Einstellung zum Pkw bei jüngeren Menschen zurückzuführen [BBSR17, S. 107]. Weiterhin ist ein Anstieg des Anteils der Haushalte ohne Pkw von 34 Prozent im Jahr 2003 auf 37 Prozent im Jahr 2008 im SrV-Städtepegel zu verzeichnen [VRS11a].  In der Verkehrsprognose 2030 wird trotz dieser Faktoren ein Wachstum des Pkw-Besitzes und der Pkw-Verkehrsleistung prognostiziert [ITP14a]. Die Abbildung 1 zeigt die Pkw-Verfügbarkeit in Deutschland für das Jahr 2008.

Pkw_Verfuegbarkeit.jpg

Abbildung 1: Pkw-Verfügbarkeit in Deutschland 2008 [BBSR12a, S.74] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Pendlerverflechtungen sind beim Personenverkehr als räumliche Interaktion von Wohnort und Arbeitsplatz ein wesentliches Element zur Kennzeichnung der Siedlungsstruktur. Rund 39 Prozent der Erwerbstätigen pendeln dabei in einen anderen Kreis innerhalb Deutschlands [BAA18a]. Typische Auspendlerregionen sind periphere Räume, Einpendlerregionen demzufolge verdichtete Gebiete und Städte, wobei die vorhandene Verkehrsinfrastruktur Richtung als auch Entfernung der Pendlerverflechtungen beeinflusst.

Der Raumordnungsbericht aus dem Jahr 2012 stellt eine Abnahme der Binnenpendler, also derjenigen, die innerhalb einer Gemeinde wohnen und arbeiten, fest. Ihre Anzahl sank zwischen 1999 und 2009 um 5,4 Prozentpunkte auf 41 Prozent, während die Pendeldistanz von 14,6 auf 16,6 Kilometer anstieg. Diese Entwicklung verteilt sich jedoch unterschiedlich auf das Bundesgebiet und ist vor allen Dingen durch steigende Pendeldistanzen in den äußeren suburbanen Räume der Metropolen und den dünnbesiedelten Gebieten der neuen Bundesländer geprägt [BBSR12a, S.77]. Die Abbildung 2 zeigt den Anteil der Pendler mit mehr als 50 Kilometer Pendeldistanz an allen sozialverpflichtungspflichtigen Beschäftigten im Jahr 2009 in Prozent.

Pendlerverflechtungen_ROB11_S79.jpgAbbildung 2: Pendlerverflechtungen in Deutschland [BBSR12a, S. 79](Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)

Bei den Verflechtungen im Güterverkehr ist zu konstatieren, dass dieser vor der Wirtschaftskrise aufgrund der geopolitischen Veränderungen in Europa sowie durch wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Entwicklungen einen starken Anstieg zu verzeichnen hatte. Besonders der Straßengüterverkehr war von dieser Entwicklung stark betroffen (vor allem grenzüberschreitender Güterverkehr in Form von Lastkraftwagen (Lkw) [BBR05a]. Im Raumordnungsbericht 2011 wird davon ausgegangen, dass die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise 2009 nur geringfügige Effekte in der künftigen Verkehrsnachfrage hinterlassen wird [BBSR12a]. Die Verkehrsprognose 2030 geht von einer Steigerung des Transportaufkommens bis 2030 um 38 Prozent aus [BMVI13a]. Der Marktanteil einzelner Verkehrsträger würde sich dabei um weniger als einen Prozentpunkt verändern. Bei den Verkehrsbeziehungen wird ein überproportionales Wachstum im Transitverkehr erwartet, während für den Binnenverkehr ein unterproportionales Wachstum angenommen wird.
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Raumordnung und Raumentwicklung (Stand des Wissens: 09.01.2020)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?45947
Literatur
[BAA18a] Pendleratlas (Datenstand Juni 2018), 2018/06
[BBR05a] Lutter, H. Raumordnungsbericht 2005, 2005
[BBSR17] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) Raumordnungsbericht 2017 - Daseinsvorsorge sichern, 2017/06, ISBN/ISSN 978-3-87994-216-9
[BMVI13a] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehrsprognose 2030, 2013
[infas10] DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft Mobilität in Deutschland 2008 (MiD 2008) , 2010/02
[ITP14a] BVU Beratergruppe Verkehr+Umwelt GmbH, Intraplan Consult GmbH, IVV-Ingenieurgruppe für Verkehrswesen und Verfahrensentwicklung, PLANCO Consulting GmbH, Schubert, Markus, Kluth, Tobias, Nebauer, Gregor, Ratzenberger, Ralf, Kotzagiorgis, Stefanos, Butz, Bernd, Schneider, Walter, Leible, Markus Verkehrsverflechtungsprognose 2030 - Schlussbericht, 2014/06/11
[SrV09a] TU Dresden, Lehrstuhl Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Prof. Dr.-Ing. G.-A. Ahrens, Ahrens, G.-A., Ließke, F., Wittwer, R., Hubrich, S. Endbericht zur Verkehrserhebung Mobilität in Städten - SrV 2008 und Auswertungen zum SrV-Städtepegel, 2009/12
[SrV13] Wittwer, R., Hubrich, S., Wittig, S., Ließke, F. Sonderauswertung zum Forschungsprojekt "Mobilität in Städten - SrV 2013". Städtevergleich, Dresden, 2015/05
[VRS11a] Ahrens, G.-A. Der ÖPNV - Flaggschiff einer zukünftigen Mobilität?, Köln, 2011
Weiterführende Literatur
[BBSR12a] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) Raumordnungsbericht 2011, Bonn, 2012/06
[VIP11] Ahrens, G.-A., Kabitzke, U. et al. Zukunft von Mobilität und Verkehr. Auswertung wissenschaftlicher Grunddaten und abgeleiteter Perspektiven des Verkehrswesens in Deutschland., Dresden, 2011/08
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Bundesverkehrswegeplan
Als Instrument einer mittel- bis langfristigen Investitionsrahmenplanung für den Erhalt und Ersatz bundeseigener Verkehrsinfrastruktur erfasst der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) das zwecks zielgerichteter Ausgestaltung sowie Erweiterung von Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Schienenwegen des Bundes erforderliche Finanzierungsvolumen. Auf Basis verkehrsträgerübergreifender Prognosen findet in diesem Zusammenhang eine Priorisierung vorgesehener Neu- und Ausbauprojekte gemäß ihrer gesamtwirtschaftlichen Bewertung sowie ökologischer und raumordnerischer Einschätzungen statt. Grundsätzlich wird infolgedessen zwischen "vordinglichem Bedarf" (VB) und "weiterem Bedarf" (WB) unterschieden.

Der BVWP tritt auf Beschluss des Bundeskabinetts in Kraft und umfasst jeweils einen Zeithorizont von circa zehn bis 15 Jahren. Seit 1973 sind bereits sechs konsekutive Verkehrswegepläne verabschiedet worden. Der letzten, dem Jahr 2016 entstammenden Fortschreibung liegt ein Planungszeitraum bis 2030 und ein Investitionsvolumen in Höhe von 269,6 Milliarden Euro zugrunde, siehe auch gesonderte Wissenslandkarte "Bundesverkehrswegeplanung" hier im Forschungsinformationssystem.
SrV-Städtepegel
Der SrV-Städtepegel stellt eine Stadtgruppierung dar. Er besteht aus den SrV-Städten, die seit dem Jahr 1972 mit wenigen Ausnahmen kontinuierlich am System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) teilgenommen haben. Demzufolge beinhaltet dieser lediglich ostdeutsche Städte. Der Städtepegel entspricht in seinem Ursprung den 14 Bezirksstädten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ohne Berlin.
Der Städtepegel bildet damit die Basis für Analysen der zeitlichen Entwicklung des Personenverkehrs ostdeutscher Großstädte.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Transitverkehr Unter Transitverkehr ist vor allem Güterverkehr zu verstehen, der durch ein Land hindurchführt, das nicht Ziel der Warensendung ist.
Verkehrsaufkommen Das Verkehrsaufkommen beschreibt die Anzahl der zurückgelegten Wege, beförderten Personen oder Güter pro Zeiteinheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das spezifische Verkehrsaufkommen auf zurückgelegte Wege und beschreibt die mittlere Anzahl der Ortsveränderungen pro Person und Zeiteinheit.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?355125

Gedruckt am Donnerstag, 8. Juni 2023 17:47:40