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Definitionen des Mobilitätsmanagements

Erstellt am: 17.02.2003 | Stand des Wissens: 25.10.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Eine allgemein in der Fachöffentlichkeit anerkannte Definition von Mobilitätsmanagement existiert bisher nicht. In Deutschland wurde der Ansatz und der Begriff "Mobilitätsmanagement" (MM) von Joachim Fiedler in den 1980er-Jahren eingeführt. Auf seine Initiative hin entstand in der Forschungsgesellschaft für Straßenwesen (FGSV) ein Arbeitskreis "Mobilitätsmanagement", der ein entsprechendes Arbeitspapier erstellte [FGSV95c] und dieses 2001 fortgeschrieben hat [uba01]. Die Definition des Mobilitätsmanagements erfolgte zu diesem Zeitpunkt jedoch primär mit Fokus auf den öffentlichen Verkehr (ÖV).

In den 1990er Jahren beschäftigten sich eine Reihe von EU-Forschungsprojekten mit dem Mobilitätsmanagement und versuchten Definitionsansätze zu liefern, beispielsweise die Projekte MOMENTUM und MOSAIC sowie später MOST, MAX und ADD HOME [ILS2012, S. 17].

Die meisten Definitionsansätze stimmen weitestgehend darin überein, dass Mobilitätsmanagement das Ziel hat, den Personenverkehr effizienter, umwelt- und sozialverträglicher und damit nachhaltiger zu gestalten [ILSISB00; JoZu02; BMVBW04a; Lang07; Mag10; HKV10; EPOMM09] und sich vorzugsweise "weicher" Maßnahmen aus den Bereichen Information, Kommunikation, Koordination und Organisation bedient.
Eine umfangreiche Definition inklusive Erläuterung hat die Europäische Plattform für Mobilitätsmanagement (EPOMM) 2009 veröffentlicht, die im Rahmen des MAX-Projektes entwickelt wurde [EPOMM09].
Im Folgenden wird eine Auswahl möglicher Definitionen gegeben.  

FGSV 1995:
Nach Auffassung der FGSV soll dem Verkehrsteilnehmer "ein breitgefächertes Angebotsspektrum alternativer Beförderungsgelegenheiten einschließlich der notwendigen Informationen darüber" bereitgestellt werden, das es ihm erleichtern soll, "sich von Fall zu Fall für oder wider die Benutzung des eigenen Autos zu entscheiden" [FGSV95c, S. 6]. Mobilitätsmanagement zielt nach diesem Ansatz darauf ab, die teilweise unabgestimmten Aktivitäten verschiedenster Akteure zur Beeinflussung des Verkehrsverhaltens beziehungsweise zur besseren Beherrschung des starken Verkehrsaufkommens zu koordinieren.

EU-Projekte: MOSAIC/MOMENTUM 2000:
"Mobilitätsmanagement ist ein nachfrageorientierter Ansatz im Bereich des Personen- und Güterverkehrs, der neue Kooperationen initiiert und ein Maßnahmenpaket bereitstellt, um eine effiziente, umwelt- und sozialverträgliche (nachhaltige) Mobilität anzuregen und zu fördern. Die Maßnahmen basieren im Wesentlichen auf den Handlungsfeldern Information, Kommunikation, Organisation, Koordination und bedürfen eines Marketings." [ILSISB00, S. 15].
ECOMM 2002:
Auf der ECOMM 2002 wurde ein Vorschlag für eine Neudefinition des MOSAIC/MOMENTUM-Ansatzes vorgestellt, der die Einbeziehung der Angebotsplanung stärker berücksichtigt: "MM unterstützt die Interaktion zwischen dem (partnerschaftlich organisierten) nachfrageorientierten Ansatz und der (herkömmlichen) Angebotsplanung durch einen kooperativen, umwelt- und sozialverträglichen Politik- und Planungsprozess. MM ermöglicht die effektive Koordination von Partnern und benutzt eigene Management-, Kommunikations- und Marketing-Werkzeuge." [JoZu02, S. 14, Übersetzung ISB]. Dieser hat sich bisher jedoch nicht durchgesetzt.

BMVBW 2004:
"Mobilitätsmanagement ist mit seinen nachfrageorientierten Maßnahmen im Bereich des Personenverkehrs darauf gerichtet, neue Kooperationen zu initiieren und eine effiziente, umwelt- und sozialverträgliche (nachhaltige) Mobilität anzuregen und zu fördern. Wesentliche Maßnahmeformen sind Information, Kommunikation, Organisation und Koordination. Auch ein umfassendes Marketing gehört dazu." [BMVBW04a, S. 12].

Langweg 2007:
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen schlägt Langweg vor, eine von allen wesentlichen Akteuren akzeptierte neue Definition zu erstellen, die zu einer schärferen Profilierung und einer breiteren Anerkennung von Mobilitätsmanagement beitragen soll: "Mobilitätsmanagement ist ein eigenständiger Ansatz zur Förderung einer nachhaltigen Mobilität. Es bedarf spezifischer Akteure, die im Auftrag der politischen Ebene zu einer besseren Vernetzung der vorhandenen Verkehrssysteme beitragen sollen. Mobilitätsmanagement initiiert neue und verbessert vorhandene Mobilitätsdienstleistungen für bestimmte Zielgruppen und in enger Abstimmung mit diesen und verwendet hauptsächlich Informations- und Beratungsmaßnahmen" [Lang07, S. 46].

Kemming/Welsch 2009:
"Mobilitätsmanagement ist ein Ansatz zur Beeinflussung der Verkehrsnachfrage und zur Förderung eines nachhaltigen Verkehrs. Ziel ist es, die Autonutzung durch eine Änderung von Einstellungen und Verhaltensweisen der Verkehrsteilnehmer/innen zu reduzieren. Im Zentrum der Aktivitäten stehen Informationen, Beratungen, Anreize, Kampagnen und sonstige öffentlichkeitswirksame Maßnahmen. Ebenfalls von Bedeutung sind die Organisationen attraktiver Mobilitätsangebote jenseits des eigenen Autos sowie indirekt verkehrswirksame Angebote wie Gleitzeit, Telearbeit oder Umzugsservices." [Mag10, S. 29].

Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung 2010/2014:
"Mobilitätsmanagement ist ein Ansatz zur Beeinflussung der Verkehrsnachfrage mit dem Ziel, den Personenverkehr effizienter, umwelt- und sozialverträglicher und damit nachhaltiger zu gestalten. Mobilitätsmanagement bietet den" Verkehrsteilnehmern und -innen "durch eher "weiche" Maßnahmen aus den Bereichen Information, Kommunikation, Motivation, Koordination, Service und Marketing Optionen, ihr Mobilitätsverhalten und ihre Einstellungen zur Mobilität zu verändern". Dabei übernehmen Akteure wie zum Beispiel Betriebe, Wohnungsunternehmen oder Schulen Verantwortung für den durch sie verursachten Verkehr und kooperieren mit Kommunen, Verkehrsbetrieben und -anbietern. Eine breite Palette von Maßnahmen des Mobilitätsmanagements ist geeignet, die Nutzung der Verkehrsmittel des Umweltverbundes und Alternativen zur Nutzung des eigenen Autos zu eröffnen [HKV10, S. 5].
EPOMM 2009:
"Mobilitätsmanagement (MM) ist ein Konzept zur Förderung des nachhaltigen Verkehrs und zur Verringerung der Autonutzungs-Nachfrage, und zwar durch die Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen
der Verkehrsteilnehmer. Das Mobilitätsmanagement basiert auf sanften Maßnahmen, wie Information, Kommunikation, Organisation von Services sowie Koordination der Aktivitäten verschiedener Partner. Sanfte Maßnahmen bewirken meist eine Effizienzsteigerung von harten Infrastruktur-Maßnahmen im urbanen Bereich (wie neue Straßenbahnlinien, Straßen und Radwege). Diese MM-Maßnahmen erfordern (im Gegensatz zu "harten" Infrastruktur-Maßnahmen) keine umfangreichen finanziellen Investitionen und können einen hohen Kosten-Nutzen-Faktor aufweisen" [EPOMM09].

Aktionsprogramm effizient mobil 2010:
"Mobilitätsmanagement ist ein Instrument zur Reduzierung von Pkw-Verkehr. Im Vordergrund steht die Verlagerung auf öffentliche und auf nicht motorisierte Verkehrsmittel (den Umweltverbund). Aber auch eine Verkehrsvermeidung (zum Beispiel durch Telearbeit) oder eine Auslastungssteigerung von Pkw (etwa durch Fahrgemeinschaften) sind möglich. Durchgeführt wird Mobilitätsmanagement von lokalen Akteuren, die Verkehrsteilnehmer vor Ort zur Änderung ihres Verkehrsverhaltens motivieren: beispielsweise Betriebe ihre Beschäftigten oder Schulen ihre Schüler und deren Eltern. Zum Einsatz kommen dabei "weiche" Maßnahmen aus den Bereichen Kommunikation, Koordination und Service. Alternativen zum Pkw werden gezielt attraktiver gemacht; umgekehrt können auch Anreize zur Nutzung des Pkw abgebaut werden. Kommunen können mit Mobilitätsmanagement ebenfalls konkrete Zielgruppen adressieren, zum Beispiel Neubürger, die bei der Neuorganisation ihrer Wege besonders offen für Beratungen sind. Sie können aber auch andere ortsansässige Akteure wie Betriebe oder Schulen dazu motivieren, ihrerseits Mobilitätsmanagement durchzuführen. Auf kommunaler Ebene besonders nachhaltig ist eine Verankerung von Mobilitätsmanagement in Planungs- und
Entscheidungsstrukturen" [dena2010, S. 5].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Mobilitätsmanagement (Stand des Wissens: 25.10.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?20082
Literatur
[BMVBW04a] Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr, RWTH Aachen, IVV-Ingenieurgruppe für Verkehrswesen und Verfahrensentwicklung Mobilitätsmanagement - Ziele, Konzepte und Umsetzungsstrategien, veröffentlicht in direkt, Ausgabe/Auflage Heft 58, Wirtschaftsverlag NW, 27564 Bremerhaven, 2004/04, ISBN/ISSN 3-86509-100-8
[dena2010] Deutsche Energie-Agentur GmbH (Hrsg.) effizient mobil. Das Aktionsprogramm für Mobilitätsmanagement.
Programmdokumentation 2008-2010, 2010, ISBN/ISSN 978-3-9813760-2-9
[EPOMM09] Mobilitätsmanagement: eine Definition, 2009
[FGSV95c] FGSV-Arbeitskreis 1.6.11 Mobilitätsmanagement Öffentlicher Personennahverkehr - Mobilitätsmanagement - ein neuer Ansatz zur Umweltschonenden Bewältigung für Verkehrs-probleme - FGSV-Arbeitspapier 38, veröffentlicht in FGSV-Arbeitspapiere, FGSV-Verlag, 1995
[HKV10] Bracher, T., Haag, M., Holzapfel, H., Kiepe, F., Lehmbrock, M., Reutter, U. Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung - Für die Praxis in Stadt und Region, 2010/12, ISBN/ISSN ISBN: 978-3-87907-400-6
[ILS2012] Mechtild Stiewe, Ulrike Reutter (Hrsg.) Mobilitätsmanagement
Wissenschaftliche Grundlagen und Wirkungen in der Praxis, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, Klartext Verlag, Essen, 2012/08, ISBN/ISSN 978-3-8375-0474-3
[ILSISB00] Konsortium MOMENTUM und MOSAIC Mobilitätsmanagement Handbuch, Ausgabe/Auflage 1, Dortmund, Aachen, 2000, ISBN/ISSN 3-8176-1097-1
[JoZu02] University of Westminster, Zuallert, Jos, Jones, Peter Back to the future: 10 years of Mobility Management, veröffentlicht in ECOMM 2002, 2002
[Lang07] Langweg, Armin, Dipl.-Ing. Mobilitätsmanagement, Mobilitätskultur, Marketing & Mobilitätsmarketing - Versuch einer Begriffsklärung, veröffentlicht in Stadt - Region - Land, 2007
[Mag10] Brübach, D., Bühler, F., Cocron, P., Egner, T., Fastenmeier, W., Franke, T., Gstalter, H., Jansen, T., Keinath, A., Kemming, H., Krems, J. F., Langwegweg, A., Meiners, K., Monheim, H., Müller, U., Neumann, I., Philippi, M., Schmidtmann, S., Schwalm, M., Skrobek, J., Stahl, H. T., Welsch, J. Mobilitätsmanagement Beiträge zur Verkehrspraxis, ksv kölner stadt- und verkehrs-verlag Köln, 2010, ISBN/ISSN 9 783940 685940
[uba01] Planungsgesellschaft Verkehr Köln, Hoppe, R. Mobilitätsmanagement zur Bewältigung kommunaler Verkehrsprobleme, Ausgabe/Auflage 1, 2001
Glossar
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
Umweltverbund
Unter dem Begriff Umweltverbund wird die Kooperation der umweltfreundlichen Verkehrsmittel verstanden. Hierzu zählen die öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus und Taxis), nicht motorisierte Verkehrsträger (Fußgänger und private oder öffentliche Fahrräder), sowie Carsharing und Mitfahrzentralen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Wege innerhalb des Umweltverbunds, anstatt mit dem eigenen Pkw, zurückzulegen. Zunehmend wird der Begriff Mobilitätsverbund genutzt.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Palette
Eine Palette ist ein Ladungsträger, auf dem eine größere Anzahl von Transportgütern zu gleichartigen (unifizierten) Ladungseinheiten zusammengefasst werden kann. Durch Normierung von Bauart und Größe jeweils verwendeter Paletten sowie korrespondierender Transport-, Umschlags- oder Lagersysteme lassen sich anfallende logistische Prozesse sowohl in zeitlicher als auch monetärer Hinsicht rationalisieren.
BMVBW Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (1998-2005)

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?35428

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 12:10:05