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Erfahrungen im Ausland mit der Planung und Bewertung von Megaprojekten

Erstellt am: 24.05.2011 | Stand des Wissens: 21.02.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Megaprojekte werden weltweit geplant und gebaut. Im europäischen Ausland wie zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien, der Schweiz und den Niederlanden erfolgt der Planungsverlauf, ähnlich wie in Deutschland, nach einem vordefinierten Verfahren:
  1. Vorplanungsphase: unter anderem Nutzen-Kosten-Analyse, unter Umständen Alternativenprüfung, Aufnahme in einen Investitionsrahmenplan,
  2. Planungsphase: Linienbestimmung, Umweltverträglichkeits- und Raumordnungsanalyse,
  3. Realisierungsphase.
Trotz festgelegtem Verfahren ist der Planungsprozess oftmals politisch geprägt. So werden in vielen europäischen Ländern Projekte trotz eines vergleichsweise geringen Nutzen-Kosten-Verhältnisses (< 1) realisiert. [Ifmo07a, S. 136, 153]

Die Bürgerbeteiligung beschränkt sich im europäischen Ausland zum Beispiel in den Niederlanden, Schweden, Frankreich und Großbritannien auf Einsichtnahmen in die Planungsunterlagen, Einwanderhebungen und Erörterungsterminen. [Ifmo07a, S. 106, 136, 154, 181] Im Vergleich dazu besteht in der Schweiz die Möglichkeit über Volksinitiativen und Referenden Einfluss auf Verkehrsprojekte zu nehmen. [Ifmo07a, S. 168f]

Kostenunterschätzungen sind bei Megaprojekten ein weltweites Phänomen (vgl. Abb. 1).
kostenueberschreitungen.PNGAbb. 1: Kostenunterschätzungen bei internationalen Verkehrsprojekten [FlBrRo03, S. 14, 19]
Außerhalb von Europa sind vor allem Schienenprojekte mit bis zu 64,6 Prozent anfällig für Kostenüberschreitungen. Innerhalb Europas werden die Kosten für Brücken und Tunnel um durchschnittlich 43,4 Prozent überschätzt (vgl. Tabelle 2).
kostenueberschreitungen_nach_regionen.PNGTabelle 2: Kostenüberschreitungen in Europa, Nordamerika und anderen Regionen [FlBrRo03, S.14, 19]
Um die Risiken von Fehlplanungen zu vermeiden, werden im europäischen Ausland unterschiedliche Ansätze verfolgt.
So sind die Träger von Infrastrukturprojekten in Großbritannien beispielsweise im Rahmen des Maßnahmenpakets Quantified Risk Assessment (QRA) zu einer detaillierten Risikoanalyse angehalten, auf Grundlage derer die erste Schätzung der späteren Gesamtkosten stattfindet. Diese Schätzung wird anschließend um einen von Projektart und Projektentwicklungsstufe abhängigen Risikoaufschlag ergänzt, der sich aus den historischen Kostenüberschreitungen ähnlicher Projekte ergibt.

In der Schweiz ist zur Realisierung eines Megaprojektes ein erfolgreiches Finanzreferendum vonnöten. Da bei Kostenüberschreitungen des im ersten Referendum genehmigten Kreditrahmens ein weiteres Referendum notwendig und die Genehmigung weiterer Kredite deshalb nicht gesichert ist, werden Risiken konsequent in den ersten Kostenschätzungen berücksichtigt.

Um Probleme in der Umsetzung von Infrastrukturprojekten zu vermeiden, führte Norwegen im Jahr 2000 das Qualitätssicherungssystem (Quality at entry regime) verpflichtend für alle Projekte ein, deren Investitionsvolumen 60 Millionen Euro übersteigt. Das System gliedert sich in eine Vorstudien-, Vorplanungs- und Planungsphase und sieht als Qualitätssicherungsinstrument auch die Einbeziehung externer Gutachter vor, um zum Beispiel zu optimistische Schätzungen der Projektverantwortlichen (Optimism bias) zu verhindern.
In den USA sind die Träger von Megaprojekten im Straßenbau dazu verpflichtet, eine Reihe von Dokumenten zu den Kosten, Finanzierungsplänen und zum Projektmanagement des Infrastrukturvorhabens zu erstellen. Auf Grundlage dieser jährlich aktualisierten Dokumente überwacht die Federal Highway Administration dessen kosten-, termin- und qualitätsgerechten Ablauf.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Planung und Bewertung von Megaprojekten im Verkehrsbereich (Stand des Wissens: 17.04.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?352432
Literatur
[FlBrRo03] Flyvbjerg, B.;, Bruzelius, N.;, Rothengatter, W. Megaprojects and Risk, Cambridge University Press/ Cambridge, 2003
[Ifmo07a] Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster (IVM), KCW GmbH Verkehrsinfrastruktur-Benchmarking Europa Verkehrsinfrastrukturausstattung und verkehrspolitische Rahmenbedingungenen in ausgewählten europäischen Staaten, Berlin, 2007
Glossar
Kosten-Nutzen-Analyse
Die Nutzen-Kosten-Analyse ist ein Verfahren zur Quantifizierung von Vor- und Nachteilen von öffentlichen Investitionen über monetarisierte Kenngrößen. Dabei werden sämtliche positive Auswirkungen (Erträge, Nutzen) und sämtliche negative Auswirkungen (Kosten) eines Projektes in Geldeinheiten quantifiziert und ermittelt, ob der Saldo größer oder kleiner als Null ist. Es kann auch das Nutzen-Kosten-Verhältnis (Nutzen-Kosten-Quotient) ermittelt werden. Nutzen-Kosten-Untersuchungen sind in Deutschland bei öffentlichen Maßnahmen haushaltsrechtlich vorgeschrieben und sind als Bewertungsverfahren Bestandteil der Bundesverkehrswegeplanung oder als "Standardisierte Bewertung" Voraussetzung für eine Förderung aus dem GVFG-Großvorhabenprogramm.
Optimism bias
Als "optimism bias" wird die tendenzielle Neigung von Gutachtern und Projektträgern bezeichnet, wesentliche Größen ihrer Vorhaben zu optimistisch einzuschätzen und etwaige Risikofaktoren zu vernachlässigen.
Als Folge des "optimism bias" werden Projektkosten und -dauern häufig unterschätzt bzw. der zu erwartende Projektnutzen überschätzt. Verschiedene Verfahren, wie z.B. Sensitivitätsanalysen oder Risikoaufschläge, können dazu beitragen, eventuelle Fehleinschätzungen frühzeitig zu identifizieren.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?351894

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 16:21:20