Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung bei Megaprojekten

Erstellt am: 24.05.2011 | Stand des Wissens: 21.02.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Formen der Bürgerbeteiligung für Megaprojekte können unter anderem Informations- und Erörterungsveranstaltungen, rechtliche Klagen gegen ein Planfeststellungsverfahren, Mediationen oder Volksentscheide sein. Die im Rahmen von Planungsverfahren in Deutschland praktizierten Beteiligungsformen basieren vor allem auf gesetzlich vorgeschriebenen Informations- und Einwendungsmöglichkeiten. Aktive Mitgestaltungsmöglichkeiten der Bürger im Ideen- und Ausgestaltungsprozess sind gesetzlich nicht vorgesehen. Dies ist als Bürger oder Verband besonders dann erschwert, wenn es sich um Straßen und Schienenprojekten handelt, da sich der Projektträger für den Bundesverkehrswegeplan bereits auf eine Projektvariante festgelegt hat. Aber auch bei Verkehrsprojekten, für deren Realisierung der Bundesverkehrswegeplan nicht relevant ist, (zum Beispiel Flughafenlandebahnen) ist der Erfolg einer Mediation stark eingeschränkt, wenn sie erst zum Zeitpunkt des Planfeststellungsverfahrens erfolgt, weil unterschiedliche Alternativen nicht mehr berücksichtigt werden.

Gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligungen sind wie folgt in das Planungsverfahren integriert:

Bauleitplanung

1. Vorgezogene Bürgerbeteiligung:
Allgemeine Ziele, der Gegenstand und Alternativlösungen eines Vorhabens werden frühzeitig auf öffentlichen Veranstaltungen präsentiert. Bürger und der Vorhabenträger können Einwendungen erörtern.

2. Förmliches Auslegeverfahren:
Alle Bürger können sich die fertigen, aber noch nicht beschlossenen Planungsunterlagen in den Gemeinden anschauen und schriftliche Einwendungen erheben. [FüSc08, S. 166f.]


Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren:

1. Mit integrierter Umweltverträglichkeitsprüfung:
  • Eine Beteiligung der Öffentlichkeit ist nach §9 UVPG gesetzlich vorgeschrieben.
  • Jeder hat die Möglichkeit, einen Monat lang die Planungsunterlagen bei den Gemeinden einzusehen und schriftlich Stellung zu nehmen.
  • Während des Erörterungstermins werden nur zuvor schriftlich eingereichte Einwände berücksichtigt [VwVfG, §73 (2)-(6)].
2. Ohne integrierte Umweltverträglichkeitsprüfung:
  • Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Raumordnungsverfahren ist optional und liegt im Ermessen der Planungsbehörde [ROG, §15 (3)].
  • Im Planfeststellungsverfahren haben nur betroffene Bürger die Möglichkeit, schriftliche Einwendungen zu erheben und an dem Erörterungstermin teilzunehmen [VwVfG, §73 (4), (6)].
3. Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben:
  • Zur Verfahrensbeschleunigung kann bei einem Planfeststellungsverfahren zum Beispiel bei Bundesfernstraßen oder Schieneninfrastruktur auf den Erörterungstermin verzichtet werden [InfraStrPlanVBeschlG §1-7].
  • Seit dem Inkrafttreten des InfraStrPlanVBeschlG im Jahr 2006 wurde auf 305 von insgesamt 1.138 (26%) Erörterungstermine der Planfeststellungen von Bundesfern- und Wasserstraßen sowie Schieneninfrastruktur verzichtet (Stand Oktober 2010, Bun10, S. 2).

Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss

Mit einer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz kann die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses bewirkt werden [VwGO60 §42(1), § 50 (1) Nr. 6]. Die Klage muss innerhalb eines Monats nach Veröffentlichungsfrist (2 Wochen) des Planfeststellungsbeschlusses eingereicht werden [VwGO60 §70, (1)]. Klageberechtigt ist nur jemand, dessen Rechte verletzt wurden [VwGO60 §42 (2)] und der schriftliche Einwendungen im Planfeststellungsverfahren eingereicht hat [VwVfG §73 (4)]. Die Klage gegen ein Planfeststellungsverfahren kann nicht als Bürgerbeteiligung im engeren Sinne gesehen werden. Vielmehr kann eine Klage gegen ein Planfeststellungsbeschluss als Zeichen für eine unzureichende Bürgerbeteiligung im gesamten Planungsverfahren interpretiert werden.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Planung und Bewertung von Megaprojekten im Verkehrsbereich (Stand des Wissens: 17.04.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?352432
Literatur
[Bun10] Presse und Informationsamt der Bundesregierung Durchführung von Erörterungsterminen bei Planfeststellungsverfahren von Bundesverkehrswegen, veröffentlicht in Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter, Sabine Leidig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 17/3098 -, Ausgabe/Auflage Drucksache 17/3331, 2010/10/19
[FüSc08] Fürst, D., Scholles, F. Handbuch Theorien und Methoden der Raum- und Umweltplanung, Ausgabe/Auflage 3. Auflage, Dortmund, 2008
Rechtsvorschriften
[InfraStrPlanVBeschlG] Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben (InfraStrPlanVBeschlG)
[ROG] Raumordnungsgesetz (ROG)
[UVPG] Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung
[VwGO60] Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
[VwVfG] Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
Glossar
Bundesverkehrswegeplan
Als Instrument einer mittel- bis langfristigen Investitionsrahmenplanung für den Erhalt und Ersatz bundeseigener Verkehrsinfrastruktur erfasst der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) das zwecks zielgerichteter Ausgestaltung sowie Erweiterung von Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Schienenwegen des Bundes erforderliche Finanzierungsvolumen. Auf Basis verkehrsträgerübergreifender Prognosen findet in diesem Zusammenhang eine Priorisierung vorgesehener Neu- und Ausbauprojekte gemäß ihrer gesamtwirtschaftlichen Bewertung sowie ökologischer und raumordnerischer Einschätzungen statt. Grundsätzlich wird infolgedessen zwischen "vordinglichem Bedarf" (VB) und "weiterem Bedarf" (WB) unterschieden.

Der BVWP tritt auf Beschluss des Bundeskabinetts in Kraft und umfasst jeweils einen Zeithorizont von circa zehn bis 15 Jahren. Seit 1973 sind bereits sechs konsekutive Verkehrswegepläne verabschiedet worden. Der letzten, dem Jahr 2016 entstammenden Fortschreibung liegt ein Planungszeitraum bis 2030 und ein Investitionsvolumen in Höhe von 269,6 Milliarden Euro zugrunde, siehe auch gesonderte Wissenslandkarte "Bundesverkehrswegeplanung" hier im Forschungsinformationssystem.
Bauleitplanung
Die Bauleitplanung ist im Baugesetzbuch (BauGB) und in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) geregelt und dient der Lenkung beziehungsweise Ordnung der städtebaulichen Entwicklung. Die Bauleitplanung ist Teil der kommunalen Selbstverwaltung und ist daher Aufgabe der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 GG).

Die Instrumente der Bauleitplanung sind der Flächennutzungsplan (§ 5 BauGB), als vorbereitender Bauleitplan, der die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung sowie die Art der Bodenutzung im Gemeindegebiet darstellen soll und der Bebauungsplan als verbindlicher Bauleitplan. Dieser konkretisiert die im Flächennutzungsplan dargestellten Bauflächen und enthält rechtsverbindliche Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung (§§ 8 ff. BauGB).

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?351882

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 03:01:04