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Durch besondere Fahrzeugdimensionen und Zugkompositionen erzielbare Energieeinspareffekte im Schienenverkehr

Erstellt am: 27.02.2011 | Stand des Wissens: 29.02.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Im Falle von Personenverkehrsangeboten lässt sich eine Energiebilanzverbesserung in erster Linie durch Bereitstellung zusätzlicher Sitzplatzkapazitäten je Zug bei gleichzeitig unterproportionaler Fahrzeuggewichtssteigerung erzielen [WINT11a]. Insofern erweist sich die zunächst vor betriebswirtschaftlichem Hintergrund formulierte Zielstellung eines hohen Auslastungsgrades auch aus ökologischer Sicht als äußerst bedeutsam. Konstruktiv lässt sich entweder durch breiter dimensionierte Fahrzeuge oder durch Doppelstockbauweise eine bestmögliche Lichtraumprofilausnutzung erzielen und somit zusätzliche Sitzplatzkapazität schaffen, ohne unter Verwendung weiterer Wagen die Zuglänge variieren zu müssen. Letzteres wäre mit einer deutlichen Gewichtserhöhung verbunden und resultierte in gesteigerten Fahrwiderständen, welche wiederum den fahrzeugspezifischen Energieverbrauch negativ beeinflussten. 
Raumnutzungsunterschiede gemessen an der Anzahl an Sitzplätzen pro Meter ZuglängeAbb. 1: Raumnutzungsunterschiede gemessen an der Anzahl an Sitzplätzen pro Meter Zuglänge [ANDE14] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Speziell die Doppelstockkonstruktion fand bereits vergleichsweise früh Einzug in den Personenfahrzeugbau. Studien legen nahe, "dass durch geschickte Wagenkonstruktion und intelligente Innenraumaufteilung bei Doppelstockfahrzeugen im Fern- und Hochgeschwindigkeitsverkehr eine Erhöhung der Sitzplatzanzahl bei gleicher Zuglänge um etwa 50 % und eine Verminderung des spezifischen Sitzplatzgewichts um etwa 30 % möglich ist" [Gärt08]. Im Falle von Nahverkehrsdoppelstockwagen, welche in zahlreichen Regionen der Bundesrepublik Deutschland bereits zum Alltagsbild gehören, liegen entsprechende Kapazitätsgewinne noch über denen der Varianten des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV). 2011 hat der Deutsche Bahn AG Konzern 135 moderne Doppelstockfahrzeuge bei der Bombardier Transportation bestellt und betreibt diese seit Dezember 2015 auf der IC-Linie Cottbus/Leipzig Hannover Norddeich. Die maximal technisch zugelassene Geschwindigkeit liegt bei 189 km/h, welche jedoch aufgrund der erforderlichen gesonderten Zulassungsprozedur auf 160 km/h beschränkt wurde. Aufgrund vielfacher technischer Störungen, vor allem ungewöhnliches Wanken bei hohen Geschwindigkeiten, wurde der weitere Einsatz des Zugtyps auf der IC Linie Dresden Hannover Köln auf Dezember 2016 verschoben. Seit dem 10.12.2016 ist dieser dann auch tatsächlich in Benutzung [SaZe16]. Teile der Strecke Leipzig-Moskau wurden außerdem auf eine maximale Geschwindigkeit von 120 km/h herabgesetzt [DBAG11a; THOM16].  Ein weiteres Beispiel zeigt sich in Österreich. Die WESTbahn Management GmbH orderte im Jahr 2009 sieben sechsteilige Doppelstockzüge bei der Stadler Rail Group. Im Jahre 2017 sollen weitere 10 Doppelstockzüge hinzu kommen [VOLP16]. Seit Dezember 2011 verkehren diese erfolgreich zwischen den Städten Wien und Salzburg [Wehi12]. In Frankreich sind bereits seit vielen Jahren Doppelstock-Hochgeschwindigkeitszüge im Einsatz (Tabelle 1).
Tab. 1: TGV Duplex als Fallbeispiel für Sitzplatzkapazitäts- und Energieeffizienzvorteile von DoppelstockschienenfahrzeugenTab. 1: TGV Duplex als Fallbeispiel für Sitzplatzkapazitäts- und Energieeffizienzvorteile von Doppelstockschienenfahrzeugen [UIC02e] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Alternativ zu einem Doppelstockwageneinsatz, welcher im Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) keine Ideallösung bietet (Seitenwindempfindlichkeit, Komforteinschränkungen bezüglich Gepäck), wurde die Tauglichkeit von breiteren Zügen zwecks Sitzplatzkapazitätsausweitung erforscht (sogenannte Wide-Body-Lösungen). Erwägen lässt sich in diesem Zusammenhang eine Fahrzeugbreitenanpassung auf 3,40 m (zum Vergleich - ICE 3: 2,95 m). Bei identischer Sitzbreite wie in ICE-T-Triebzügen könnten die Kapazitäten durch einen zusätzlichen Sitzplatz pro Reihe (2+3 Bestuhlung in der 2. Klasse, 2+2 Bestuhlung in der 1. Klasse) um mehr als 25 Prozent gesteigert und damit insbesondere Verfügbarkeitsengpässe auf stark frequentierten Strecken reduziert werden. Im zukünftigen HGV in Schweden könnte die Option, die Fahrzeuge mit breiteren Wagenkästen auszustatten, ebenfalls Anwendung finden. Mit einer Fahrzeugbreite von etwa 3,50 m und Geschwindigkeiten um 200 km/h lässt sich der Energieverbrauch pro Sitzplatz um etwa 25 bis 35 Prozent im Vergleich zu derzeitigen schwedischen HGV-Zügen senken, wie in dem 2005 bis 2012 unter dem Namen "Gröna Tåget" laufenden Projekt festgestellt werden konnte [Fröi12].
Die Union Internationale des Chemins de fer (UIC, dt. Internationaler Eisenbahnverband) stuft sowohl Doppelstockzüge als auch Wide-Body-Lösungen hinsichtlich ihres Energieeffizienzsteigerungspotenzials als äußerst vielversprechend ein. Beiden Ansätzen werden fahrzeugbezogene Einspareffekte von über 10 Prozent zugeschrieben [UIC02h; UIC02g]. Wie vorangehend erwähnt, lassen sich diese Effizienzgewinne allerdings lediglich im Falle hoher Auslastungsgrade erzielen. Auf Relationen mit geringer Nachfrage bleibt der verkehrsleistungsspezifische Energieverbrauch gegenüber Zügen von herkömmlicher Bauart unverändert. Angesichts eines (verglichen zu der Fahrzeuggesamtmasse) leichten Mehrgewichts breiterer beziehungsweise höherer Wagenkonstruktionen können in diesem Zusammenhang gar Effizienzverluste eintreten.
Während Untersuchungen mit Blick auf das deutsche Netz lediglich eine überschaubare Anzahl an baulich zu verändernden Lichtraumprofilengstellen aufzeigten, hätte die neue Fahrzeugbreite im internationalen Verkehr allerdings nennenswerte Interoperabilitätsprobleme zur Folge [Erns01]. Nichtsdestotrotz scheint die Notwendigkeit zu einer umfangreicheren Realisierung konstruktiver Neuansätze durchaus gegeben. Im deutschen SPFV konnten klassische einstöckige Fahrzeuge mit herkömmlicher 2+2 Bestuhlung das Fahrgastaufkommen bislang zwar hinreichend gut bewältigen, zukünftig wird jedoch insbesondere die Rheinstrecke zwischen Köln und Frankfurt als mögliches Anwendungsfeld für neue Fahrzeugkonzepte angesehen [Gärt08].
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IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Effizienzpotenziale im Schienenverkehr (Stand des Wissens: 28.02.2017)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?487371
Literatur
[ANDE14] Andersson, E., Fröidh, O., Stichel, S., Bustad, T., Tengstrand, H. Green Train: concept and technology overview, veröffentlicht in International Journal of Rail Transportation, Ausgabe/Auflage 2/1, 2014, Online-Referenz doi:10.1080/23248378.2013.878291
[DBAG11a] o. A. Doppelstockwagen - Bahn bestellt 27 neue Fernverkehrszüge, 2011/01/13
[Erns01] Ernst, Jürgen, Dr.-Ing. Erhöhung der Wirtschaftlichkeit durch den Einsatz breiter Züge im SPFV, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Ausgabe/Auflage 1/2, Hestra-Verlag, Darmstadt, 2001, ISBN/ISSN 0013-2845
[Fröi12] Fröidh, Oskar Green train - Basis for a Scandinavian high-speed train concept
Final Report, Part A, KTH Railway Group, Stockholm, 2012
[Gärt08] Gärtner, Hansjürgen Doppelstockzüge für den Fern- und Hochgeschwindigkeitsverkehr, veröffentlicht in Der Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 03, DVVV Media Group, 2008/03, ISBN/ISSN 0013-2810
[SaZe16] o.A. Lichtgraue Zukunft im Fernverkehr: Seit dem Wochenende fährt der Intercity 2 regulär von Dresden nach Köln, 2016/12/16
[THOM16] Thomas, Peter Probleme beim IC 2 - Seekrank im Obergeschoss, 2016/06/01
[UIC02e] o.A. Energy efficiency strategies for rolling stock and train operation, 2002
[UIC02g] o. A. Wide-body stock, 2002/10/09
[UIC02h] o. A. Double-decked stock, 2002/10/09
[VOLP16] Volpert, Ines Die neuen "Stadler-Züge" der WESTbahn: Erste Garnitur ist bereits auf Schienen, 2016/07/06
[Wehi12] Wehinger, Stefan Westbahn - geglückter Start in eine neue Eisenbahnära, veröffentlicht in Eisenbahn Revue International, Ausgabe/Auflage 4/2012, Minirex AG, Luzern (Schweiz), 2012, ISBN/ISSN 1421-2811
[WINT11a] Winter, Joachim Zug der Zukunft. Next Generation Train - NGT, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., 2011, Online-Referenz http://www.dlr.de/dlr/Portaldata/1/Resources/documents/2014/23679_Handout_Nr_1_NGT__bersicht_RZ.pdf
Glossar
Hochgeschwindigkeitsverkehr Als Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) werden Zugfahrten von Trieb[wagen]zügen (sog. Hochgeschwindigkeitszüge) bzw. dafür geeigneten lokbespannten Zügen mit mehr als 200 km/h Spitzengeschwindigkeit auf extra dafür [um]gebauten HGV-Strecken bezeichnet.
Train à grande vitesse Train à grande vitesse (TGV, dt. Zug mit hoher Geschwindigkeit, Hochgeschwindigkeitszug), ist sowohl Markenname als auch Bezeichnung mehrerer Baureihen französischer Hochgeschwindigkeitszüge. Die TGV sowie deren Geschwisterzüge Thalys und Eurostar verkehren außer in Frankreich auch in bzw. nach Deutschland, in der Schweiz, in Italien, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Luxemburg und Spanien.
Schienenpersonenfernverkehr
Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist die Beförderung von Reisenden mit Eisenbahnzügen über längere Strecken mit mehr als einer Stunde Fahrzeit oder 50 km Entfernung. Im Gegenzug zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bzw. dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird der SPFV eigenwirtschaftlich betrieben und muss sich betriebsökonomisch selbst tragen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?343318

Gedruckt am Dienstag, 19. März 2024 11:04:46