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Stadträume für Fußgänger

Erstellt am: 17.02.2011 | Stand des Wissens: 06.12.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Das Zufußgehen ist stärker mit den Elementen und Strukturen des Städtebaus verbunden als jeder andere Verkehrsmodus. Es ermöglicht die nahräumige Erschließung und ist ein Teil jedes alltäglichen Weges. Im Zufußgehen liegt ein nicht zu unterschätzendes Potential für wirksame Beiträge zur Bewältigung aktueller Herausforderungen von Städten, wie beispielsweise Luftreinhaltung, Lärmreduzierung oder Stauvermeidung. Daher gewinnt die Steigerung der Attraktivität des Fußverkehrs in den Städten zunehmend an Bedeutung. 
In besonderem Maße als attraktiv gelten speziell für Fußgänger vorgesehene Bereiche, in denen sie sicher und ungehindert vor allem von Autos unterwegs sein, entspannen oder einkaufen können. Die Einrichtung derartiger Stadträume trägt maßgeblich dazu bei, dem Fußverkehr gegenüber anderen Verkehrsträgern wieder mehr Gewicht zu verleihen [FUSS17, UBA11b, POLIS17].

Besondere Stadträume für Fußgänger können innerorts in folgenden Bereichen angelegt werden [Schw09; Kasz10]:
  • zentrale städtische Bereiche mit hohem Fußgängerverkehrsaufkommen (zentrale Geschäftsbereiche oder verdichtete Wohngebiete),
  • an Straßen oder Bereichen mit überwiegender Aufenthaltsfunktion und sehr geringem Verkehr und
  • an Stellen, wo eine ausgewogene Konkurrenzsituation zwischen Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern besteht.
Die Stadträume, die auf die spezifischen Anforderungen von Fußgängern ausgerichtet sind, werden in der Regel als besonders attraktiv empfunden. Eine hohe Verkehrs- und Aufenthaltsqualität für Fußgänger wird dadurch sichergestellt, dass Konfliktsituationen zwischen Autos sowie Radfahrern und Fußgängern durch eine eindeutige Vorrangregelung für Fußgänger beziehungsweise durch eine gleichberechtigte Verkehrsreglung für alle Verkehrsteilnehmer entfallen. Außerdem zeichnen sich attraktive Stadträume für Fußgänger durch eine hochwertige und differenzierte Gestaltung von Oberflächen, beispielsweise Pflasterung, Farbgebung oder Ornamente, und Stadtmöblierung, wie Sitzgelegenheiten, Brunnen, oder Skulpturen, aus. Die Stadträume werden ebenfalls dadurch aufgewertet, dass die Lärm- und Abgasbelastung möglichst gering ist [Krau09; Koch09; FGSV02c; FUSS17].

Diese Infrastruktur sollte jedoch nicht auf abgegrenzte Räume beschränkt werden, sondern in ein übergreifendes, attraktives Wegenetz integriert sein, um die Funktionsfähigkeit des gesamten Systems zu gewährleisten [FGSV02c; FUSS17a].
Besondere Formen der innerörtlichen Straßenraumgestaltung, die spezielle Anforderungen von Fußgängern berücksichtigen und auch verkehrsrechtliche Regelungen einschließen, sind:
  • Fußgängerbereiche (Fußgängerzonen) und
  • Verkehrsberuhigte Bereiche (Spielstraßen).
Fußgängerbereiche sind meist innenstadtnahe, speziell angelegte Zonen, auf denen Fußgänger absoluten Vorrang haben, sofern keine andere Verkehrsart durch ein Zusatzzeichen erlaubt ist, und alle anderen Verkehrsarten in der Regel von der Benutzung ausgeschlossen sind [StVO].
Im Unterschied dazu ist im verkehrsberuhigten Bereich der Fahrzeugverkehr zugelassen, allerdings muss Schrittgeschwindigkeit gefahren werden. Die Fußgänger dürfen die Straße in ihrer ganzen Breite nutzen. Kinderspiele sind überall erlaubt [StVO].

Verkehrsberuhigte Bereiche sind in Stadträumen vorteilhaft, in denen die Aufenthalts- und Erschließungsfunktion überwiegt.

Ein wesentliches Ausstattungsmerkmal der Stadträume für Fußgänger sind die Nebenanlagen in Form von Ruhe- und Verweilzonen, Spielmöglichkeiten und öffentlichen WC-Anlagen. Es werden damit die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen adressiert, so nutzen beispielsweise ältere Menschen vermehrt Bänke zum Ausruhen, wohingegen Jugendliche Aufenthaltsbereiche oft als Treffpunkte und Rückzugsort aufsuchen [FGSV02c; RASt06].
In Deutschland werden verstärkt die Prinzipien von Shared Space (geteilter, öffentlicher Raum) und Begegnungszonen auf Basis von Erfahrungen aus den Niederlanden beziehungsweise der Schweiz diskutiert. Das Prinzip des Shared Space hebt die Trennung der Verkehrsarten (Mischungsprinzip) auf. Vorrangregeln werden durch gegenseitige Rück- und Vorsicht ersetzt (Verzicht auf Beschilderung), sodass ein niedriges Geschwindigkeitsniveau erforderlich wird . Diese Gestaltungsprinzipien sind momentan nicht im deutschen Recht verankert. Ihre Implementierung erweist sich als schwierig. Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen hat im Jahr 2014 ein Hinweisdokument zu Anwendungsmöglichkeiten des Shared Space-Gedankens veröffentlicht und somit den ersten Schritt in die Richtung einer Gesetzesänderung bewerkstelligt. In Deutschland gibt es bereits vereinzelt umgesetzte Projekte, welche sich an diesen Gestaltungsgrundsätzen orientieren. Die Verkehrs- und Sicherheitswirkung ist jedoch noch nicht umfassend genug evaluiert. Generell ist die Eignung einer solchen Zone sehr von der jeweiligen Situation und der richtigen Anwendung abhängig [Kasz10; FGSV14; BSV14; VCD09b; NSH13].
Die Erweiterung des Mindestangebotes an Fußgängerinfrastruktur durch speziell gestaltete Stadträume für Fußgänger fördert die Lebensqualität und bereichert den Stadtraum durch ein attraktives Angebot. Durch die gezielte Planung und Umsetzung von Stadträumen für Fußgänger können Planung und Politik maßgeblich dazu beitragen, den Fußverkehr in Städten zu stärken und die Anteile von Straßen- und Gehwegstrukturen wieder in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen [FUSS17a].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Fußgängerverkehrsanlagen (Stand des Wissens: 07.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?300815
Literatur
[BSV14] BSV Büro für Stadt- und Verkehrsplanung Dr.-Ing. Reinhold Baier GmbH, Baier, R.,, Engelen, K.,, Klemps-Kohnen, A.,, Reinartz, A. Einsatzbereich und Einsatzgrenzen von Straßenumgestaltungen nach dem "Shared Space"-Gedanken, 2014/08
[FGSV02c] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. , Arbeitskreis 2.5.2 (Fußgängerverkehr) Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA), FGSV-Verlag, Köln, 2002
[FGSV14] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. , Baier, Reinhold, Eilrich, Wolfgang, Gerlach, Jürgen, et al. Hinweise zu Straßenräumen mit besonderem Querungsbedarf - Anwendungsmöglichkeiten des "Shared Space"-Gedankens, veröffentlicht in Wissensdokumente (W 1), Ausgabe/Auflage FGSV 200/1, FGSV Verlag / Köln, 2014/06, ISBN/ISSN 978-3-86446-081-4
[FUSS17] FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland Darum gehen, 2017
[FUSS17a] FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland Verbände-Interviews und Fachgespräche , 2017
[Kasz10] Martin Kasztantowicz Shared Space und Begegnungszonen, Berlin, 2010
[Koch09] Helmut Koch Mobilitätsmanagement Mobilitätsberatung Good Practice Bausteine für eine fußgängerfreundliche Umwelt, komobile Gmunden Gmbh, 2009/06
[Krau09] Juliane Krause Straßenraumgestaltung Nutzungsqualität für alle, plan&rat/Braunschweig, 2009/05
[NSH13] Netzwerk shared space Übersichtskarte zu Shared Space Plätzen, 2013
[POLIS17] Die Kraft gesunder Stadträume, veröffentlicht in polis - Magazin für urban development, Ausgabe/Auflage 01/2017, 2017/04/17
[Schw09] Schwab, A. Tabelle "Vergleich Begegnungszonen, Shared Space, Verkehrsberuhigter Bereich bzw. Geschäftsbereich", 2009/12
[UBA11b] Beckmann, K., Gies, J., Preuß, T., Thiemann-Linden, J., Leitkonzept - Stadt und Region der kurzen Wege, 2011/08, ISBN/ISSN 1862-4804
[VCD09b] Verkehrsclub Deutschland (VCD) e. V. Shared space - Straßenraumgestaltung mal anders, 2009
Weiterführende Literatur
[FGSV11] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Empfehlungen zur Straßenraumgestaltung innerhalb bebauter Gebiete (ESG), FGSV Verlag / Köln, 2011, ISBN/ISSN 978-3-941790-76-6
[AGFU00] FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL) e.V. Förderung des Fußverkehrs auf Bundesebne, Kassel, 2000/04
[UBA18g] Bauer, U.; , Hertel, M.;, Buchmann, L.;, Frehn, M.; Spott, M. Geht doch! - Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie, veröffentlicht in UBA-TEXTE, Ausgabe/Auflage 75/2018, Umweltbundesamt / Dessau-Roßlau, 2018/10, ISBN/ISSN 1862- 4359
[HBVA11] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen (H BVA), 2011/06
[RASt06] Baier, Reinhold, et al. Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen - RASt 06, Ausgabe/Auflage 2006, Köln, 2007, ISBN/ISSN 978-3-939715-21-4
[Höfl04] Höfler, Frank Verkehrswesen-Praxis, veröffentlicht in Bd. 1 Verkehrsplanung, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, Bauwerk Verlag GmbH / Berlin, 2004, ISBN/ISSN 3-934369-52-9
[StVO] Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?342391

Gedruckt am Donnerstag, 18. April 2024 11:48:02