Projekte und Anwendungen des Elektronischen Fahrgeldmanagements in Deutschland
Erstellt am: 15.01.2011 | Stand des Wissens: 10.02.2021
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Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Prof. Dr.-Ing. Plank-Wiedenbeck
In Deutschland sind in den letzten Jahrzehnten zunächst einige proprietäre Anwendungen des Elektronischen Fahrgeldmanagements (EFM) erprobt und in Betrieb genommen worden. Seit 2006 werden jedoch nur noch Projekte nach dem Standard der Kernapplikation des Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV-KA) gefördert. Dies erfolgte hauptsächlich über die Förderinitiative (((eTicket Deutschland des Bundesverkehrsministeriums (siehe Synthesebericht "Die VDV-Kernapplikation elektronisches Fahrgeldmanagement"). Die Projekte sind zum einen Demonstrationsprojekte mit direkter Nutzung einer der drei Elektronischen-Ticket-Stufen (E-Ticket) durch den Kunden, zum anderen jedoch auch reine Entwicklungsprojekte, die sich mit zentralen Anwendungen und/oder zentralen Fragestellungen der interoperablen VDV-KA befassen.
Die erste Förderrichtlinie erstreckte sich über die Jahre 2006 bis 2009 und hatte ein Gesamtvolumen von 9,75 Millionen Euro. Ziel war die Herstellung einer ersten Migrationsstufe von vorhandenen proprietären Fahrgeldmanagementsystemen hin zum EFM nach der VDV-KA. Diese Angebote des EFM waren größtenteils auf Abonnement-Inhabende ausgerichtet. Im Rahmen dieser ersten Förderrichtlinie wurden Forschungs- und Entwicklungs-Aktivitäten für alle drei Ausbaustufen des EFM gefördert [BMVBS07ab].
Eines dieser Projekte war KOLIBRI & Co, in dem bereits bestehende E-Ticket-Anwendungen aus drei zusammenhängenden Verkehrsräumen auf die interoperable Version der VDV-KA migriert wurden. Basierend auf dem Check-In/Check-Out-Prinzip (CiCo) wurde die VDV-KA mit wichtigen Hintergrundsystemen und Schnittstellen auf interregionaler Ebene praktisch erprobt. Weitere Projekte waren beispielsweise der R&R-Pilot, INNOS-HGS-1 und Upgrade SBS [BMVBS10c] [Kueh14] [HOFF09].
Im Jahr 2010 wurde die zweite Förderrichtlinie der Initiative (((eTicket Deutschland veröffentlicht [Juri10]. Sie sollte sich über die Jahre 2010 bis 2015 mit einem Gesamtvolumen von 20 Millionen Euro erstrecken. Im August 2011 wurden die Fördermittel zu Gunsten der Elektromobilität umgeschichtet, wodurch keine weitere Mittel für Projekte des elektronischen Fahrgeldmanagements zur Verfügung standen [Diks11].
Das EFM wird jedoch weiterhin im Rahmen von weiteren Projekten und Forschungsinitiativen des Bundes gefördert. Im Rahmen der Forschungsinitiative "Von Tür zu Tür - Eine Mobilitätsinitiative für den Öffentlichen Personenverkehr der Zukunft" des BMWi haben insbesondere die Projekte "DIMIS" und "eSIM 2020" für das EFM eine Relevanz. Das Projekt "DIMIS - Durchgängiges Intermodales MobilitätsInformationsSystem" (12/2012 bis 03/2016) hatte schwerpunktmäßig neben der Entwicklung von Navigations- und Ortungsdiensten und der individuellen und personalisierten Anpassung einer Applikation auch die Integration des EFM in der Ausbaustufe Check-In/Check-Out (CiCo) als Ziel [Böhm13] [Böhm17].
Gegenstand des Projekts "(((eSIM 2020 - EFM-Systemintegration und Migration für den Zielhorizont 2020" (06/2013 bis 06/2016) war die "Entwicklung eines neuen Verfahrens auf Basis von vorhandenen und standardisierten Schnittstellen in marktüblichen Smartphones zur automatischen Raumerfassung und Fahrpreisfindung für Gelegenheitskunden", die Standards der VDV-KA wurden dabei eingehalten [Hube13]. Während die auf den Smartphones zu installierende App zur Raumerfassung ((((eSIM-App) mit integrierter Raumerfassungskomponente realisiert werden konnte, musste jedoch die Erarbeitung einer Migrationsstrategie für ein EFM-System mit fahrzeugscharfer Fahrtenbildung auf Grund der Verzögerungen im Projektablauf und der zu lösenden technischen Probleme aus dem Projekt herausgelöst werden [Giem17, S. 5].
Die Einführung und Entwicklung des EFM wird zudem durch das Kompetenzcenter Digitalisierung NRW (KCD) gefördert. Das beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) angesiedelte KCD übernimmt Aufgaben des Projektmanagements und der Standardisierung im Rahmen der VDV-KA. Derzeitige Projekte befassen sich beispielsweise mit der Speicherung von zwei Tickets in einem Barcode und einer neuen Generation von Fahrkartenautomaten, welche zum einen als Video-Callcenter und zum anderen als Self-Service-Terminal (Selbstbedienungsterminal) für ÖPNV-Kunden dienen [Kcd19].
Ein vom Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) seit 2016 durchgeführtes Pilotprojekt namens "RMVsmart" beschäftigt sich mit der Vereinfachung des tarifzonenabhängigen Ticketings im RMV-Gebiet. Grund hierfür ist eine festgestellte Änderung im Nutzungsverhalten. Dieses besteht nicht mehr mehrheitlich aus Fahrten, die innerhalb einer Zone stattfinden, sondern zunehmend reisen Fahrgäste tarifzonenübergreifend. Um die Kosten gerechter, aber auch für den Kunden verständlicher zu berechnen, wird der Fahrpreis anhand der zurückgelegten Strecke ermittelt, anstatt zuvor anhand der Tarifzone. Kernelement des Pilotprojekts bildet hierbei die RMVsmart-App, die den Fahrpreis vor Fahrtbeginn berechnet und gleichzeitig als Ticket fungiert [Ring16]. Seit Oktober 2019 testet der RMV zusätzlich eine weitere Tarifidee. Mit "RMVsmart Flex" sparen Testkundinnen und -kunden umso mehr, je häufiger sie fahren [RMV19].
Bedingt durch die existierende Vielzahl von proprietären Apps der einzelnen Verkehrsverbünde besteht zunehmend der Bedarf nach Bezahlverfahren, die keine Registrierung benötigen und keine Daten mit persönlichen Zahlungsinformationen speichern. Durch die so geschaffene Anonymität und Einfachheit des elektronischen Ticketkaufs sollen vor allem Gelegenheitsnutzer des öffentlichen Personennahverkehrs angesprochen werden. Dieses Ziel verfolgt beispielsweise der RMV durch das Angebot der neuen Bezahlvariante "girogo" innerhalb der RMV-App. Mit der Funktion "girogo" ausgestattete Girokarten können beim Bezahlen kontaktlos über die NFC-Technologie verwendet werden. Durch das Anlegen der Girokarte an das Smartphone erfolgt die Bezahlung der eTickets über die RMV-App und der Betrag wird von dem Guthaben auf der Karte abgebucht [Hube14].
2015 startete das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Initiative "Digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr". Für dieses Vorhaben wurde 2016 eigens eine Roadmap herausgegeben, in welchem unter anderem Maßnahmen des E-Ticketings gefördert wurden [BMVI16g]. Im Dezember 2020 wurde eine Neuauflage Roadmap 2.0 veröffentlicht [DVOV20]. Des Weiteren ist ein Vernetzungsleitfaden erarbeitet wurden [DVOV20a]. Für den Zeitraum 2016 bis 2018 stellte das BMVI für die Förderrichtlinie "eTicketing und digitale Vernetzung im Öffentlichen Verkehr" ein Fördervolumen von 16 Millionen Euro bereit [BMVI16]. Im Rahmen dieses Förderprogramms wurden Teile der "Roadmap: Digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr" umgesetzt [TUEVRC19]. Ein Projekt, welches zu diesem Förderprogramm gehört, ist "Mobility Inside", welche eine einheitliche, bundesweite Mobilitätsplattform zum Organisieren, Buchen und Bezahlen einer kompletten Reise im ÖPV bereitstellt [Wolff17]. Neben diesem Projekt unterstützt das BMVI zwölf weitere Verbundprojekte bundesweit [BMVI16af].
Um der Problematik der proprietären Apps auf dem Markt und der damit notwendigen mehrfachen Registrierung der Kunden bei Fahrten in mehreren Verkehrsverbünden zu begegnen, gibt es Bestrebungen zu interoperablen Produkt-Service-Konzepten, welche die einzelnen Handy-Ticket-Systeme in Deutschland miteinander vernetzen (Interoperables Produkt-Service-Interface) [JaKr14].
Weitere zu nennende Projekte sind das EiTicket, die polygoCard und TicketEasy, welche multifunktionale E-Ticket-Lösungen anbieten. Auf diese wird im Synthesebericht "Elektronisches Ticketing mit Multifunktionalität" näher eingegangen.