Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Ostseestrategie der Europäischen Union

Erstellt am: 10.01.2011 | Stand des Wissens: 18.09.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Die EU-Kommission hatte im Juni 2009 eine auf polnische und schwedische Initiative zurückgehende Mitteilung über eine EU-Ostseestrategie [EuKom09g] einschließlich eines Aktionsplans vorgelegt, die am 29./30.10.2009 vom Europäischen Rat angenommen wurde. Ziel war es, die Entwicklung der Region mit einem integrierten Ansatz zu unterstützen, indem die Aktivitäten der Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen zusammengeführt, aufeinander abgestimmt und optimiert werden sollten. Damit wurde in der EU erstmalig eine solch umfassende Strategie für eine Makroregion entwickelt. Zusätzliche Finanzmittel, neue Rechtsvorschriften oder der Aufbau weiterer Strukturen waren nicht vorgesehen. Vielmehr sollten vorhandene Strukturen, Steuerungsinstrumente und Investitionsmittel effizienter genutzt werden.
Die EU-Kommission sieht in ihrer Mitteilung den Ostseeraum als Modellregion, die in vieler Hinsicht sehr unterschiedlich ist, aber auch vor einer Anzahl gemeinsamer Probleme steht, welche die Annahme einer gemeinsamen Strategie rechtfertigen. Die Herangehensweise zur Erarbeitung und für die Umsetzung der Strategie wird als mögliches Modell für weitere EU-Makroregionen gesehen [Joe09, S.2].
Die Strategie formulierte zunächst als sogenannte Pfeiler Leitbilder für die Entwicklung des Ostseeraums zu einer:
  • ökologisch nachhaltigen Region,
  • wohlhabenden Region,
  • leicht zugänglichen und attraktiven Region sowie
  • sicheren Region.
Diese Schwerpunkte waren anfangs in insgesamt 15 Aktionsbereiche (priority areas) unterteilt, die wiederum 80 Demonstrationsprojekte (flagship projects) umfassten. Jeden Aktionsbereich koordinierten 1 - 2 Länder. Deutschland war für die Bereich 2 Erhaltung der Naturräume und der biologischen Vielfalt, auch im Fischereibereich und 12 Ausbau der Attraktivität des Ostseeraums, Maßnahmen in Bildung, Tourismus und Gesundheit zuständig.
Weiterhin wurden bereichsübergreifende horizontale Maßnahmen bestimmt, insbesondere für die Entwicklung integrierter maritimer Governance-Strukturen und die maritime und terrestrische Raumplanung, darunter das Projekt BONUS-169 aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm, das einen ökosystembasierten Ansatz mit einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik kombiniert  [EUKom09m; EuKom09g, S.10].

Mehrheitlich begrüßt wurde in der Konsultationsphase der Plan, die Nördliche Dimension(ND) die 1999 vereinbarte gemeinsame Politik der EU, Norwegens, Islands und der Russischen Föderation zum externen Pfeiler der Ostseestrategie zu machen. Im Rahmen der ND bestehen Partnerschaften in den Bereichen Umwelt und Gesundheit, Transport und Logistik sowie Kultur.
Die Idee und Umsetzung der Ostseestrategie traf in der Vorbereitung und Umsetzung neben Zustimmung auch auf vielfältige Kritik [ScKr09, S.3; Jan10, S.341; Tai10; EUKom09m]:
  • Es fehle eine eigene, verbindende Identität der Ostseeregion als Basis für eine gemeinsame Strategie.
  • Der Aktionsplan ist sehr breit und wenig fokussiert. Einige Demonstrationsprojekte sind von geringer Relevanz für die regionale Entwicklung.
  • Viele Ziele und Aktivitäten werden bereits durch bestehende Programme, so zum Beispiel im Rahmen von Helcom abgedeckt.
  • Die fehlende Ausstattung mit eigenen Mitteln zwingt oft zu komplizierten Antrags- und Finanzierungsprozeduren, kann zur Vernachlässigung einzelner Gebiete und Prioritäten führen und macht die Strategie anfällig gegenüber administrativen Mittelkürzungen und Schwerpunktsetzungen. Die globale Finanzkrise hat einige Ostseeländer besonders getroffen, die nun kaum in der Lage sind, erforderliche Eigenmittel aufzubringen.
  • Die Sicherheitsphilosophien der baltischen Länder, Polens und Russlands weichen von der EU-Position ab.
  • Russland ist in das Projekt nicht einbezogen.
  • Eine Vielzahl offizieller Akteure und Nichtregierungsorganisationen machen die Umsetzung des Aktionsplans schwierig.
Die Ostseestrategie soll in Zukunft immer dann evaluiert und aktualisiert werden, wenn ein Ostseeanrainer die EU-Ratspräsidentschaft innehat: Estland 2017, Finnland 2019, Deutschland 2020, Schweden 2023, Polen 2025 und Lettland 2028. 
Ein erstes Jahresforum mit über 500 Teilnehmern fand im Oktober 2010 in Tallinn statt, bei dem die Europäische Kommission einen Zwischenbericht [EUKom10c] vorlegte. Daraus ging hervor, dass der Fortschritt in den einzelnen Prioritäten recht verschieden ist, in Abhängigkeit vor allem von der zuvor bereits bestehenden Zusammenarbeit. Die meisten Demonstrationsprojekte wurden gestartet. Die Finanzierung der Projekte und der laufenden Arbeit aus bestehenden Programmen erwies sich problematischer als erwartet.
In den Schlussfolgerungen der Workshops wurden mehrere der oben genannten Kritikpunkte wieder aufgegriffen, es wurde jedoch die politische Ausstrahlung des Programms als hilfreich für die Umsetzung und Finanzierung vieler Projekte hervorgehoben. Die Kooperation mit Russland wurde in mehreren thematischen Workshops als wesentlich für den Erfolg genannt.
Auf Basis der bis dahin gemachten Erfahrungen wurden Mitte des Jahres 2012 neue allgemeine Ziele der EU-Ostseestrategie definiert, um der Strategie einen stärkeren Fokus zu geben [EuKom13f, S.8]:
  1. Bewahrung der Ostsee
  2. Anbindung der Region
  3. Steigerung des Wohlstands
Im Februar 2013 wurde der neue "Action Plan" der Europäischen Kommission zur EU-Ostseestrategie ausgegeben. Dabei wurden 17 Aktionsbereiche (priority areas) und 5 horizontale Maßnahmen definiert, für die typischerweise ein Mitgliedsstaat die Koordination übernimmt. Dieser Mitgliedstaat befindet sich im engen Austausch mit den anderen Stakeholdern, wie zum Beispiel regionalen und nationalen Ämter, und zwischenstaatlichen und nichtstaatlichen Organisationen [EuKom13f, S.9].
Im Zuge des Vorsitzes Lettlands im Rat der Europäischen Union 2015 wurde der Aktionsplan zur EU-Ostseestrategie erneut überarbeitet und auf dem 6. EUSBSR-Jahresforum, das am 15. und 16. Juni 2015 in Jurmala (Lettland) stattfand, vorgestellt. Die zukünftigen Schwerpunkte sind
  • eine stärkere Fokussierung der Strategie;
  • eine stärkere politische Führung und Entscheidungsbefugnisse seitens der betroffenen Länder und Regionen;
  • klar definierte Zuständigkeiten, wirksame Koordinierung und Bereitstellung ausreichender Ressourcen für den Umsetzungsprozess [EUSBSR19].
Vom 4. bis 5. Juni 2018 fand das Forum in Tallinn statt. Dabei befasste sich der dafür vorbereitete Report "EUSBSR after 2020" mit der Beantwortung der Frage, wie eine zukünftige Strategie in der sich verändernden Umwelt aussehen sollte [EUSBSR18].
Im Jahr 2019 fand das Forum am 12. und 13. Juni im polnischen Gdansk statt. Im Zentrum des Forums stand, wie durch eine erfolgreich umgesetzte Kreislaufwirtschaft der demografische Wandel ebenso wie Herausforderungen bei der Erhaltung des Ökosystems Ostsee angegangen und überwunden werden könnte. Auch im Hinblick auf das mittlerweile 10-jährige Bestehen wurde noch einmal betont, dass eine makroregionale Zusammenarbeit unabdinglich ist, um den Herausforderungen der Zukunft entgegentreten zu können und die Ostseeregion hier als Vorreiter fungieren sollte [EUSBSR19a].
Das 11. jährliche Forum wurde am 20. Oktober 2020 erstmals online ausgetragen. Im Fokus der Diskussionen standen vor allem effektive Kommunikation und Kooperation in Krisenzeiten sowie die Zukunft der EUSBSR im nächsten Jahrzehnt. Das Hauptthema der Veranstaltung, Towards a Decade of Innovation and Sustainability, unterstreicht die Ziele einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Ostsee [EUSBSR20].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Maritimer Ostseeverkehr (Stand des Wissens: 18.09.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?408577
Literatur
[EuKom09g] Europäische Kommission MITTEILUNG DER KOMMISSION zur Strategie der Europäischen Union für den Ostseeraum, 2009/06/10
[EUKom09m] Europäische Kommission Strategie der Europäischen Union für den Ostseeraum - AKTIONSPLAN, KOM(2009) 248 , Brüssel, 2009
[EUKom10c] Europäische Kommission REPORT FROM THE EUROPEAN COMMISSION: THE IMPLEMENTATION OF THE EU STRATEGY FOR THE BALTIC SEA REGION , 2010/10/04
[EuKom13f] Europäische Kommission ACTION PLAN concerning the European Union Strategy for the Baltic Sea Region
, 2013/02
[EUSBSR18] EUSBSR: EU Strategy for the Baltic Sea Region (Hrsg.) EUSBSR after 2020: Governance remastered?, Tallinn, 2018/05
[EUSBSR19] EUSBSR: EU Strategy for the Baltic Sea Region (Hrsg.) EUSBSR Action Plan, 2019
[EUSBSR19a] EUSBSR: EU Strategy for the Baltic Sea Region (Hrsg.) Reuse, reduce, rethink - 10th Annual Forum of EUSBSR focused on circular economy, 2019/06/17
[EUSBSR20] EUSBSR: EU Strategy for the Baltic Sea Region (Hrsg.) 11th Annual Forum: Better together - even during the pandemic, 2020/10/23
[Jan10] Giedrius Janauskas New structures, changing identities: the concepts of the Baltic Sea region, veröffentlicht in Asia Europe Journal, Ausgabe/Auflage (2010) 8, 2010/10/20, ISBN/ISSN ISSN electronic 1612-1031
[Joe09] Pertti Joenniemi The EU Strategy for the Baltic Sea Region: A Catalyst for What?, veröffentlicht in DIIS Brief, Kopenhagen, 2009/08
[ScKr09] Carsten Schymik, Peer Krumrey EU-Strategie für den Ostseeraum Kerneuropa in der nördlichen Peripherie?, Ausgabe/Auflage Arbeitspapiere FG 1, 2009/Nr. 05, März 2009, 2009
[Tai10] Krista Taipale It has been a year since the implementation of the EU Strategy for the Baltic Sea Region started - how is the situation today?, veröffentlicht in Baltic Rim Economies, Ausgabe/Auflage 6/2010 Expert article 672, Helsinki, 2010/12/17
Weiterführende Literatur
[Kos10] Kosmider, Rainer Die Ostseestrategie der EU und ihre Bedeutung für Mecklenburg-Vorpommern, veröffentlicht in Beiträge und Informationen aus dem Ostseeinstitut für Marketing, Verkehr und Tourismus an der Universität Rostock, Ausgabe/Auflage Heft 29, Rostock, 2010, ISBN/ISSN ISSN 1433 - 0202

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?338814

Gedruckt am Donnerstag, 25. April 2024 11:25:35