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Modus der Zertifikatsvergabe

Erstellt am: 14.11.2010 | Stand des Wissens: 16.02.2024
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.

Der Modus der Zertifikatsvergabe betrifft die Art und Weise, wie die Zertifikate unter den Verpflichteten verteilt werden. Er hat zwar keinen Einfluss auf die allokative Effizienz und die ökologische Treffsicherheit eines Emissionshandelssystems. Dennoch beeinflusst der Vergabemodus die Vermögenspositionen der zum Zertifikatserwerb Verpflichteten und stellt somit einen bedeutenden Schritt in der Konzeption eines Emissionshandelssystems dar. Zwei besonders relevante Modi der Zertifikatsvergabe sind das Grandfathering und die Auktionierung.
Grandfathering beschreibt die kostenlose Vergabe von Emissionsnutzungsrechten an Alt-Emittenten auf Basis deren Ausstoßes in einem Bestimmten historischen Zeitraum. Dies verspricht dank des Bestandsschutzes eine hohe politische Durchsetzbarkeit. Jedoch kann es zu Wettbewerbsnachteilen für neu entstehende Unternehmen kommen, da diese im Zuge des Grandfathering keine kostenlosen Zertifikate erhalten. [Küll08, S. 67]
Des Weiteren birgt dieses Vergabeprinzip das Risiko von windfall profits: Unternehmen können durch die Weitergabe des Werts der Zertifikate in der Wertschöpfungskette Sondergewinne erzielen, ohne dass ihre (Produktions-)Kosten steigen. [DeBu06, S. 2]
Als Auktionierung wird die Versteigerung der Emissionszertifikate an die Meistbietenden bezeichnet. Die erzielten Preise können als Knappheitsindikator dienen. Durch die Auktion kommt es zu staatlichen Einnahmen, die in Deutschland in den Energie- und Klimafonds fließen. [DEHSt22]
Das Vergabeverfahren der Auktionierung zeichnet sich dadurch aus, dass es dem Verursacherprinzip Rechnung trägt, indem die Kosten der Umweltbelastung der Einheit zugewiesen werden, die die Belastung verursacht. Ferner werden Alt-Emittenten und neue Unternehmen gleich behandelt. [Bpb16d ;Betz22, S. 43; DEHSt22]
Im Rahmen der Auktion droht allerdings das Risiko von Carbon-Leakage. Sofern in anderen Ländern weniger strenge Regularien existieren, droht die Abwanderung der emittierenden Industrie ins Ausland. [DEHSt22]
Trotz ihrer Nachteile wird die Auktionierung dem Grandfathering prinzipiell vorgezogen. Seit 2013 ist die Auktionierung die standardmäßige Form der Zuteilung des 2005 eingeführten Europäischen Emissionshandels, der Energiewirtschaft und energieintensive Industrieanlagen erfasst der sogenannte EU ETS 1. [DEHSt22; UBA22i] Während in der 2. Handelsperiode (2008 bis 2012) durchschnittlich vier % der Zertifikate versteigert wurden, lag der Anteil in der 3. Handelsperiode (2013 bis 2020) etwa bei der Hälfte. [DEHSt15, S. 18] Dennoch werden weiterhin kostenlos Zertifikate ausgegeben, insbesondere an stark von Carbon Leakage betroffene Unternehmen. So soll der Abwanderung und Emissionsverlagerung in Länder mit anderen Regularien vorgebeugt werden. [DEHSt22] Im Jahr 2022 wurde auf EU-Ebene beschlossen, das Grandfathering ab dem Jahr 2026 auslaufen zu lassen und zum Jahr 2034 zu beenden. Parallel soll ein einen Grenzausgleichsmechanismus zur Vermeidung von Carbon Leakage aufgebaut werden. [EuPa22] Im zweiten Europäischen Emissionshandel (EU ETS 2), der im Jahr 2027 parallel zum bestehenden EU ETS 1 eingeführt wird, soll es von Anfang an keine kostenlose Zuteilung von Zertifikaten geben. [EuPa22, S. 2] Der EU ETS 2 wird die Sektoren Verkehr und Gebäude abdecken.
Das deutsche Emissionshandelssystem für die Sektoren Verkehr und Gebäude sieht bis 2025 den Verkauf von Zertifikaten zu gesetzlich festgelegten und schrittweise von 25 Euro auf 55 Euro ansteigenden Festpreisen vor (Preissteuerung). [UBA21r] Ab 2026 wird der Verkauf zu Festpreisen durch ein Auktionsverfahren ersetzt und eine Gesamtemissionsmenge festgelegt (Mengensteuerung). [UBA21r]
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Literatur
[Betz22] Regina Betz, Axel Michaelowa, Paula Castro, Raphaela Kotsch, Michael Mehling, Katharina Michaelowa, Andrea Baranzini The Carbon Market Challenge - Preventing Abuse Through Effective Governance, veröffentlicht in Cambridge University Press, 2021/09/12
[Bpb16d] Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) Verursacherprinzip, 2016
[DeBu06] Deutscher Bundestag (Hrsg.) Die ökonomischen Ursachen der Entstehung von Windfall Profits der Stromerzeuger durch die Einführung des Handels mit Emissionszertifikaten, 2006/06/26
[DEHSt15] Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) (Hrsg.) Emissionshandel in Zahlen, 2015/05
[DEHSt22] Umweltbundesamt (Hrsg.) Ausgestaltung des EU-ETS, 2022/02/28
[EuPa22] Europäisches Parlament (Hrsg.) Climate change: Deal on a more ambitious Emissions Trading System (ETS), 2022/12/08
[Küll08] Carolin Küll Grundrechtliche Probleme der Allokation von CO2-Zertifikaten, veröffentlicht in Schriftenreihe Natur und Recht, Band 10, Springer-Verlag/ Berlin Heidelberg, 2008/11/20, ISBN/ISSN 978-3-540-85831-7
[UBA21r] Umweltbundesamt (Hrsg.) Nationaler Emissionshandel: Zertifikateverkauf startet Oktober 2021, 2021/08/26
[UBA22i] Umweltbundesamt (Hrsg.) Der Europäische Emissionshandel, 2022/09/22
Glossar
EU-Emissionshandelssystem Das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) ist ein 2003 vom Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament beschlossenes marktwirtschaftliches Instrument, die im Kyoto-Protokoll gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. Anlagenbetreiber (zur Zeit sind etwa 11.000 Fabriken und Kraftwerke erfasst) müssen bei Überschreiten der ihnen fest vorgegebenen Emissionsberechtigungen Strafen bezahlen (100 Euro pro Tonne CO2), sofern keine Zertifikate zur Tilgung vorgelegt werden können. Diese Zertifikate vergeben solche Betreiber, die die o.g. Grenzwerte unterschritten haben. Die Nachweispflicht liegt in jedem Fall bei dem Anlagenbetreiber.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?333580

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 08:24:04