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Verminderung der Wohlstandswirkungen aufgrund von Verdrängungseffekten

Erstellt am: 04.08.2010 | Stand des Wissens: 09.11.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Die unmittelbaren regionalen Wachstums- und Beschäftigungswirkungen von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen können erhebliche Ausmaße annehmen. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass diesen Wirkungen andere Effekte teilweise entgegenstehen, die die Gesamtwirkungen vermindern. Man spricht hierbei von
Verdrängungseffekten, durch die ein Verkehrsprojekt die Effekte anderer Wachstums- und Beschäftigungsalternativen vermindert [Schi05]: Einerseits räumliche Verlagerungseffekte und kompensierende Beschäftigungseffekte am überregionalen Arbeitsmarkt sowie andererseits Crowding-out-Effekte auf den Finanzmärkten.

Auf dem nationalen Arbeitsmarkt wird das Beschäftigungsniveau durch angebots- und nachfrageseitige makroökonomische Bedingungen bestimmt. Wenn Vollbeschäftigung herrscht (und außerdem das gesamte Arbeitsangebot als unelastisch angesehen wird), muss ein regionaler Beschäftigungseffekt einer Infrastrukturmaßnahme mit einer entsprechenden Abnahme der Beschäftigung in anderen Regionen einhergehen. Auch bei Unterbeschäftigung können solche Ausgleichsmechanismen eintreten, wenn etwa das Unterbeschäftigungsniveau durch strukturelle makroökonomische Bedingungen hervorgerufen wird. Bei stabiler Gesamtbeschäftigung wirkt ein Nachfrageimpuls positiv auf die Lohnhöhe, und diese zieht dann Arbeitsplatzabbau an anderen Stellen nach sich. Allerdings kann auch eine Erhöhung der Löhne erwünscht sein. In Studien zu Auswirkungen von Infrastrukturprojekten auf den Arbeitsmarkt sollte daher neben dem erwarteten Beschäftigungseffekt auch der erwartete Effekt auf das gesamte Lohneinkommen angegeben werden. Da sich das Lohneinkommen als Produkt aus Beschäftigung und Lohnhöhe ergibt, wäre diese Angabe robuster gegenüber nachgelagerten Reaktionen des Arbeitsmarktes. Infolge eines Infrastrukturprojektes wird ein Teil der geschaffenen Wachstumsimpulse beziehungsweise Arbeitsplätze allerdings lediglich räumlich verlagert - dieser Teil geht also in anderen Regionen verloren. Ein Beispiel hierfür sind Konkurrenzeffekte zwischen Flughäfen. Durch die Erweiterung eines Flughafens entsteht ein erster Teil der Aktivitätszunahme auf dem Flughafen dadurch, dass Flüge von anderen Flughäfen hierher verlagert werden, ein zweiter Teil dadurch, dass zusätzlich Flüge eingerichtet werden, um diesen Flughafen einzubinden und Passagiere in ihrem unmittelbaren Umfeld besser zu bedienen. Aus der Perspektive einer Nutzen-Kosten-Analyse für die spezifische Region sind beide Teile zu berücksichtigen. Aus der Perspektive einer überregionalen Nutzen-Kosten-Analyse sollte jedoch nur der zweite Teil berücksichtigt werden, während dem ersten Teil ein gleich großer Verdrängungseffekt an anderen Flughäfen gegenüber steht.

Crowding-out-Effekte auf den Finanzmärkten: Bei der Evaluierung der volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Infrastrukturprojekten wird oft vernachlässigt, dass auch eine alternative Verwendung der Investitionsmittel - zum Beispiel in andere Projekte oder in Forschung und Bildung - direkte und indirekte Wertschöpfungseffekte nach sich ziehen würde. Auch ist zu bedenken, dass eine öffentliche Infrastruktur durch Steuererhöhungen oder eine Zunahme der Verschuldung oder Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand finanziert wird. Alle diese Formen können dazu führen, dass staatliche oder private Nachfrage zurückgedrängt wird. Ein Wohlstandsverlust tritt ein, wenn die verdrängte Verwendung eine höhere Wohlfahrtswirkung hat als die getätigte Investition. Standardmäßig sollten daher den Wachstumseffekten eines Projekts die gesamtwirtschaftlichen Wachstumseffekte einer den Projektausgaben entsprechenden Steuersenkung beziehungsweise Senkung der Staatsschulden als Opportunitätskosten der Projektfinanzierung gegengerechnet werden.

In Studien zur Bestimmung von Wachstums- und Beschäftigungswirkungen von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen werden Verdrängungseffekte meist ganz oder teilweise ignoriert. Verdrängungseffekte aufgrund räumlicher Verlagerungen mindern auch die Effekte aus verbesserter Erreichbarkeit, wenn Arbeitsplätze beziehungsweise Wachstumsimpulse aufgrund schnellerer Verkehrsverbindungen in anderen Regionen abgezogen werden, so dass dort ein Rückgang der Wertschöpfung erfolgt. 
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Auswirkungen von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen auf das Wohlstandsniveau (Stand des Wissens: 09.11.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?330584
Literatur
[Schi05] Schips, B., Hartwig, J. Wachstumswirkungen und Rentabilität von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen. Stand der Forschung und wirtschaftspolitische Schlussfolgerung für die Schweiz., Zürich, 2005
Glossar
Kosten-Nutzen-Analyse
Die Nutzen-Kosten-Analyse ist ein Verfahren zur Quantifizierung von Vor- und Nachteilen von öffentlichen Investitionen über monetarisierte Kenngrößen. Dabei werden sämtliche positive Auswirkungen (Erträge, Nutzen) und sämtliche negative Auswirkungen (Kosten) eines Projektes in Geldeinheiten quantifiziert und ermittelt, ob der Saldo größer oder kleiner als Null ist. Es kann auch das Nutzen-Kosten-Verhältnis (Nutzen-Kosten-Quotient) ermittelt werden. Nutzen-Kosten-Untersuchungen sind in Deutschland bei öffentlichen Maßnahmen haushaltsrechtlich vorgeschrieben und sind als Bewertungsverfahren Bestandteil der Bundesverkehrswegeplanung oder als "Standardisierte Bewertung" Voraussetzung für eine Förderung aus dem GVFG-Großvorhabenprogramm.
Opportunitätskosten Unter Opportunitätskosten versteht man den Wertverzehr einer Aktivität, der bei ihrer Ausführung durch den dazu notwendigen Verzicht auf eine alternative Aktivität eintritt.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?327939

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 10:14:57