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Barrierefreie Fußgängerbereiche und Straßenseitenräume

Erstellt am: 28.01.2003 | Stand des Wissens: 23.02.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Von mobilitätsbehinderten Personen werden bis zu 45 Prozent aller Ortsveränderungen zu Fuß oder im Rollstuhl vorgenommen. Dementsprechend hat die barrierenfreie Gestaltung der Anlagen für Zu-Fuß-Gehende im öffentlichen Verkehrsraum eine hohe Bedeutung [BMVBW00d].

Alle Bereiche für Fußgänger*innen und Seitenräume von Straßen sind barrierefrei zu gestalten, das heißt [HBVA11; DIN 18040-3]:
  • die Gehwegbreiten und Bewegungsflächen sind ausreichend zu dimensionieren,
  • die Durchlässe zwischen Einbauten müssen eine ausreichende Durchgangsbreite aufweisen,
  • die Oberflächen von Gehwegen sollen ausreichend rauh, griffig, rutschhemmend, eben, fugenarm, aber auch mit dem Rollstuhl leicht und erschütterungsarm befahrbar sein [BMVBW00d],
  • das Erfordernis, Höhenunterschiede zu bewältigen ist zu vermeiden (falls erforderlich sind Rampen oder Aufzüge zu installieren),
  • die Gehwege sollten eine möglichst geringe Querneigung (maximal 2,5 Prozent) und, soweit es die topografischen Bedingungen erlauben, eine maximale Längsneigung von drei Prozent aufweisen (bei Längsneigungen zwischen 3,0 bis zu 6,0 Prozent sind alle zehn Meter Verweilplätze von mindestens 1,50 Meter Länge mit einer maximalen Längsneigung von 3,0 Prozent anzuordnen),
  • der Gehwegbereich ist möglichst von Einbauten freizuhalten beziehungsweise die Einbauten sind hinsichtlich Form und Farbe so zu gestalten, dass Blinde und Sehbehinderte sie leicht erkennen können,
  • der Verkehrsraum muss für Blinde leicht durch die Benutzung eines Blindenstocks erfassbar sein.
Die Regelbreite eines Seitenraums beträgt 2,50 Meter [RASt06; HBVA11]. Dieser setzt sich zusammen aus 1,80 Meter Verkehrsraum für zwei Fußgänger*innen und 0,50 Meter Sicherheitsraum zur angrenzenden Bebauung. Die Seitenraumbreite sollte einbaufrei sein. Sollte eine ungehinderte Begegnung von zwei Mobilitätseingeschränkten (zum Beispiel Rollstuhlfahrer*innen) ermöglicht werden, so sollte die Breite des Verkehrsraums auf mindestens 2,00 Meter erhöht werden. Bei mehrmaliger Begegnung mobilitätseingeschränkter Personen sollte ein einbaufreier Seitenraum von 3,00 Meter angeboten werden.

Die Breite von Durchlässen zwischen Einbauten - beispielsweise zwischen zwei Pollern - muss mindestens 1,50 Meter betragen [BMVBW00d], wobei die Bewegungsbreite der unterschiedlichen Personengruppen und die Stärke des Fußgängerverkehrs zu berücksichtigen sind. Die Richtlinie ISO/IWA 14-1:2013(en) "Vehicle security barriers" enthält ein Regelwerk zur Erstellung von Zufahrtsschutzkonzepten.
Die Überwindung von Höhenunterschieden ist insbesondere für Rollstuhlnutzer*innen und Menschen mit Gehbehinderung schwierig. Treppen sind immer durch Rampen oder Aufzüge zu ergänzen. Eine Längsneigung bei Rampen bis drei Prozent ist in der Regel unproblematisch. Bis sechs Prozent ist ebenfalls unproblematisch, wenn ausreichend Ruheplätze in Form von Zwischenpodesten angeboten werden können [HBVA11; BMVBW00d]. Im Zuge von 6,0 Prozent geneigten Rampen ist nach einer Rampenlänge von 6,00 Meter ein Zwischenpodest von 1,50 Meter Länge erforderlich.

Der gesamte Straßenraum muss für Blinde leicht erfassbar sein. Da Blinde sich in den meisten Fällen an den durch den Blindenstock taktil erfassbaren Elementen des Straßenraums orientieren, kommt der leicht erfassbaren Gestaltung eine hohe Bedeutung zu. Zur besseren Orientierung von Blinden und Sehbehinderten sind Gehwege zu anderen Flächen (Fahrbahn, Parkflächen und so weiter) deutlich abzugrenzen. Diese Gehwegabgrenzungen sollten deutlich taktil erfassbar sein.

An Fußgängerüberquerungsstellen kommt es zu einem Zielkonflikt. Blinde Menschen benötigen den Bord zur Orientierung, um nicht versehentlich auf die Fahrbahn zu geraten. Für viele andere Nutzer*innen, besonders für Rollstuhl- und Rollatornutzer*innen, erschwert der Bord das Überqueren. Eine Bordhöhe von drei Zentimeter wurde als Kompromiss zwischen der Ertastbarkeit und der Berollbarkeit ausgehandelt. Daher ist eine korrekte Bauausführung der drei Zentimeter Bordhöhe unabdingbar. Dieser Standard ist in deutschen Kommunen bei der Ausbildung von Überquerungsstellen weit verbreitet.
Alternativ zur drei Zentimeter Absenkung kann eine "Überquerungsstelle mit differenzierten Bordsteinhöhen" ausgebildet werden. Dabei dürfen Borde an Überquerungsstellen bis auf Straßenniveau abgesenkt werden ("Nullabsenkung"), wenn die Sicherheit blinder und sehbehinderter Menschen mindestens in gleicher Qualität gewährleistet ist wie durch den Drei-Zentimeter-Bord. Ein ungewolltes Verlassen des Gehweges durch blinde und sehbehinderte Menschen im Bereich der Nullabsenkung durch die Anordnung eines Sperrfeldes muss verhindert werden.
Außerdem treten Nutzungskonflikte durch die Einführung von E-Scootern in vielen Innenstädten auf. Insbesondere geparkte E-Scooter auf Gehwegen stellen ein ernstzunehmendes Hindernis für mobilitätseingeschränkte Fußgänger*innen dar [Ring21].

Aufgrund der Umwegempfindlichkeit von mobilitätsbehinderten Personen ist eine ausreichende Anzahl von Überquerungsstellen der Fahrbahn für Fußgänger*innen einzurichten. Dabei ist vom Wartebereich im Fußgängerraum auch für Kleinwüchsige, Rollstuhlfahrer*innen und Kinder eine ausreichende Sicht auf den Straßenverkehr zu gewährleisten. Die Größe von Mittelinseln als Überquerungshilfe im Zuge der Fahrbahnen hat sich am Platzbedarf von Rollstuhlfahrern zu orientieren. Taktile Elemente sind zielführend, damit die Überquerungsstellen inklusive Mittelinseln auch von Blinden genutzt werden können. Bei Überquerungsstellen ist der Wartebereich für Personen deutlich - auch taktil erfassbar - von anderen Flächen, zum Beispiel für Radfahrer*innen, abzutrennen.

Aus den Belangen von Personen mit Mobilitätsbehinderung einerseits und städtebaulichen Aspekten andererseits können jedoch auch Interessenskonflikte resultieren, die einen Kompromiss bei der barrierefreien Gestaltung von Gehwegen erforderlich machen.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Barrierefreie Mobilität (Stand des Wissens: 07.09.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?289388
Literatur
[BMVBW00d] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Bürgerfreundliche und behindertengerechte Gestaltung des Straßenraums - Ein Handbuch für Planer und Praktiker, veröffentlicht in direkt, Ausgabe/Auflage Heft 54, 2. neubearbeitete Auflage, 2000
[DIN 18040-3] o.A. DIN 18040-3, Beuth Verlag, Berlin, 2014/12
[HBVA11] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen (H BVA), 2011/06
[RASt06] Baier, Reinhold, et al. Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen - RASt 06, Ausgabe/Auflage 2006, Köln, 2007, ISBN/ISSN 978-3-939715-21-4
[Ring21] Ringhand, M. Verkehrssicherheit von E-Scootern, 2021
Weiterführende Literatur
[DIN18024-2] o.A. DIN 18024-2, Berlin/Köln, 1996
[DIN 18040-1] o.A. DIN 18040-1, Beuth Verlag, Berlin, 2010/10
[DIN 18040-3] o.A. DIN 18040-3, Beuth Verlag, Berlin, 2014/12
[FGSV02c] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. , Arbeitskreis 2.5.2 (Fußgängerverkehr) Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA), FGSV-Verlag, Köln, 2002
[Wahl06] Wahlster, M. N., Vollmer, P. E., Becker, J. Fahrgastinformation für mobilitätseingeschränkte Menschen. Projekt barrierefreie ÖV-Information schließt erste Phase ab., veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage Heft 9, Alba Fachverlag, 2006
[Difu20a] Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) Managing E-Scooter-Rentals in German Cities: A Check-Up, 2020

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?30867

Gedruckt am Dienstag, 16. April 2024 08:33:47