Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Barrierefreie Mobilität

Erstellt am: 27.01.2003 | Stand des Wissens: 31.08.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Ein Wegfall von Barrieren bedeutet für einige Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit zur selbstbestimmten Mobilität und für alle anderen eine vorausschauende sowie zukünftige Sicherung der Mobilität.

Zu mobilitätsbehinderten Personen zählen nicht nur Menschen, die aufgrund körperlicher, geistiger (Behinderung im engeren Sinne) oder altersbedingter Behinderungen mobilitätseingeschränkt sind. Personen, die aufgrund des Mitführens von Gegenständen (reisebehinderte Menschen), zum Beispiel Kinderwagen oder Gepäck, sind in der Ausübung ihrer Mobilität ebenfalls eingeschränkt. Außerdem gelten grundsätzlich Personengruppen wie Kinder, Schwangere und Familien weitestgehend als mobilitätseingeschränkt [FGSV99b, Seite 5]. Mobilitätsbedürfnissen dieser Personengruppen muss ebenfalls Beachtung geschenkt werden.

Zu den körperlichen und altersbedingten Behinderungen zählen insbesondere Gehbehinderungen (unsicheres Gehen bis Rollstuhlfahren), Sehbehinderungen (Sehstörungen bis Blindheit), Hörbehinderungen (Schwerhörigkeit bis Taubheit) sowie Klein- und Großwüchsigkeit.

In Abbildung 1 ist die Zuordnung der mobilitätseingeschränkten Menschen dargestellt.

1.Abbildung 1: Übersicht mobilitätseingeschränkter Menschen Die vorliegende Abbildung zeigt die Differenzierung mobilitätseingeschränkter Menschen in mobilitätsbehindert im engeren und im weiteren Sinne. Als mobilitätsbehindert im engeren Sinne gelten körperbehinderte, sehgeschädigte, hörbehinderte und sprechbehinderte Menschen sowie Menschen mit kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigungen und psychisch behinderte Menschen.  Körperbehindert Personen sind gehbehinderte, rollstuhlnutzende und arm- und handbehinderte Menschen. Als sehgeschädigte Menschen gelten sehbehinderte und blinde Personen. Hörbehinderte Personen sind sowohl schwerhörige als auch gehörlose Menschen. Menschen mit kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigungen werden in lernbehinderte und geistig behinderte Menschen unterteilt. Als mobilitätsbehindert im weiteren Sinne zählen Menschen, welche reisebedingt oder altersbedingt mobilitätseingeschränkt sind. Als altersbedingt mobilitätseingeschränkt gelten ältere Menschen und Kleinkinder.  Reisebedingt mobilitätseingeschränkt sind Fahrgäste mit Gepäck, Kinderwagen, Fahrrädern, Hunden sowie werdende Mütter, übergewichtige oder ortsunkundige Menschen, Menschen mit temporären Einschränkungen, Menschen mit Allergien und sprachunkundige Menschen. Abbildung 1: Übersicht mobilitätseingeschränkter Menschen [HBVA11]

Am 31.12.2021 waren fast 7,9 Millionen Menschen mit gültigem Schwerbehindertenausweis in Deutschland statistisch erfasst. Dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von etwa 9,5 Prozent [Dest22q]. Nicht alle davon sind mobilitätseingeschränkt. Umgekehrt gilt, dass ein Drittel der Gesamtbevölkerung mobilitätseingeschränkt ist, also deutlich mehr als durch die Statistik erfasst sind.
Die Verkehrsinfrastruktur (Elemente des Straßenraumes wie zum Beispiel Gehwege, Querungshilfen und Öffentlicher Verkehr) ist so zu gestalten, dass sie von Mobilitätseingeschränkten selbstständig und ohne Einschränkung benutzt werden kann.

Barrieren stellen nicht nur bauliche Elemente wie zum Beispiel Stufen (für Gehbehinderte, Rollstuhlbenutzer und Personen mit Gepäck) dar, sondern auch Informations- und Kommunikationseinrichtungen, die von Seh- oder Hörbehinderten nicht eigenständig bedient werden können.

Die Zielsetzung der Behindertenpolitik ist die barrierefreie Gestaltung der Umwelt, so dass behinderte und in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen selbstständig am öffentlichen Leben teilnehmen können. Diese weitgehende Auffassung der Integration von mobilitätsbehinderten Personen in die Gesellschaft dokumentiert sich auch in der geänderten Terminologie, wonach die Begriffe "behindertengerecht" und "behindertenfreundlich" durch "Barrierefreiheit" abgelöst werden [BBGG02].

Übereinstimmend wird in der Literatur festgestellt, dass der Anteil von mobilitätsbehinderten Menschen an unserer Gesellschaft aufgrund demographischer Entwicklungen (steigende Alterung der Bevölkerung) immer größer und somit die Bedeutung einer barrierefreien Gestaltung der Umwelt dringender wird [BMVBW00d, BAR01]. 
Das Serviceangebot für mobilitätseingeschränkte Personen sollte auf der gesamten Wegekette vorhanden sein, um eventuelle Lücken in der Barrierefreiheit dauerhaft schließen zu können. Ebenfalls sollte eine reibungslose barrierefreie Fahrgastkommunikation realisiert werden, um über generelle Störungen, aber vor allem über Ausfälle in der barrierefreien Wegekette rechtzeitig informiert werden zu können.

Eine konsequente und kontinuierliche Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ist unerlässlicher Bestandteil für die Gleichstellung, um eventuell noch bestehenden "Barrieren in den Köpfen" abzubauen und konkrete Handreichungen über Lösungsmöglichkeiten in Bezug auf die Barrierefreiheit aufzuzeigen.

Zur zielgerichteten Informations- und Öffentlichkeitsarbeit gehören [BMVBW04k]:
  • Über Fortschritte und Vorbilder zu informieren, da Positivbeispiele oft stärker motivierend auf Dritte wirken als negative Bilanzen.
  • Soweit Leistungen, insbesondere finanzielle Leistungen zur Herstellung der Barrierefreiheit, erbracht werden, sollte darüber möglichst konkret und anschaulich berichtet werden.
  • Technische Normen benötigen im Allgemeinen Kommentierungen, Erläuterungen und zusätzliche Hinweise. Die Herausgabe von verständlichen Planungshandbüchern und -leitfäden, wird weiterhin wichtig für Entscheidungsträger und Planer, in zunehmendem Maße aber auch für die zu beteiligenden Vertreter der Belange mobilitätseingeschränkter Menschen sein.
Das Gesetzesziel, nämlich die Herstellung einer weitreichenden Barrierefreiheit in den Bereichen "Bau und Verkehr", ist trotz erheblicher Fortschritte noch längst nicht erreicht. Untersuchungen [BMVBW04k] haben belegt, dass es zur Herstellung der möglichst weitreichenden Barrierefreiheit der engagierten Mitwirkung aller Beteiligten bedarf. Neben der Verfügbarkeit der gesetzlichen Instrumente ist die Bereitstellung ausreichender Finanzmittel und die Einbindung entsprechend qualifizierten Personals unerlässlich [BMVBW04k].

Angesichts allgemein knapper Finanz- und Personalressourcen wird es kurzfristig unter anderem darum gehen, möglichst an allen maßgeblichen Stellen einen Ansprechpartner bzw. eine Anlaufstelle in den betreffenden Fragen zu schaffen. Auch kleinere Kommunen sollten einen (gegebenenfalls ehrenamtlichen) Behindertenbeauftragten bestellen, der nicht in allen Bereichen der barrierefreien Gestaltung von Bau und Verkehr kompetent sein muss, sondern sich bei Bedarf Rat und Verstärkung, zum Beispiel durch "Vernetzung" mit Beauftragten anderer Kommunen, Hinzuziehung ortsansässiger behinderter Menschen, anerkannten Verbänden oder einem staatlichen Behindertenbeauftragten, einholt [BMVBW04k].

Die Anforderungen von körperbehinderten Menschen, von blinden und sehbehinderten, von gehörlosen und schwerhörigen Menschen sowie mobilitätsbeeinträchtigten Menschen im weiteren Sinn können sich teilweise voneinander unterscheiden. Was für eine Gruppe gut und wichtig ist, muss nicht zwangsläufig auch für andere Personengruppen sein. Dies birgt ein erhebliches Konfliktpotenzial, das ganzheitlich in einer integrierten Planung im Sinne des Design für Alle abgewogen und ausgehandelt werden muss. Im Bereich der Verkehrsplanung geht der Ansatz Design für Alle davon aus, dass die Einschränkung einer Person durch die Gestaltung des Umfeldes entsteht und nicht aus den Fähigkeiten der Person. Es sollte somit eine Gestaltung angestrebt werden, die für und durch alle nutzbar ist. Spezielle Lösungen für bestimmte Gruppen (zum Beispiel Mobilitätseingeschränkte) sollten demnach vermieden werden und durch eine ganzheitliche Verkehrsraumgestaltung ersetzt werden [EDAD10].

Mit der Erfassung von vorhandenen Barrieren für seh- und hörgeschädigte Menschen beschäftigte sich das BMVBS-Forschungsvorhaben "Barrierefreiheit im öffentlichen Raum für seh- und hörgeschädigte Menschen" [BMVBS08g]. Hier werden unter anderem konkrete Lösungsvorschläge aufgezeigt, die Barrieren abbauen und sich an dem Prinzip eines Designs für Alle orientieren. Die Lösungen tragen gesamtplanerischen Rahmenbedingungen (wie rechtliche Vorgaben, Anforderungen aller Nutzer des öffentlichen Raums, wirtschaftliche Gesichtspunkte und architektonisch-gestalterische Belange) Rechnung. Die hier vorgeschlagenen Lösungen werden anhand konkreter Positiv-Beispiele veranschaulicht. Das Hinweisblatt stellt einen guten Ratgeber für Städte und Kommunen dar.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Barrierefreie Mobilität (Stand des Wissens: 07.09.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?289388
Literatur
[BAR01] Arbeitsgruppe "Behindertengerechte, Umweltgestaltung" der BAR "Behindertengerechte Umweltgestaltung" seit 1993, 2001/3
[BBGG02] o.A. Begründung zu dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG), 2002
[BMVBS08g] Dr.-Ing. Helmut Grossmann, STUVA, Köln, Dipl.-Ing. Volker König, Wedel, Dipl.-Ing. Carsten Ruhe, Taubert und Ruhe GmbH, Halstenbek HINWEISE Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum für seh- und hörgeschädigte Menschen, Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, 27568 Bremerhaven, 2008, ISBN/ISSN ISBN: 978 3 86509 867 2, ISSN: 0941 8644
[BMVBW00d] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Bürgerfreundliche und behindertengerechte Gestaltung des Straßenraums - Ein Handbuch für Planer und Praktiker, veröffentlicht in direkt, Ausgabe/Auflage Heft 54, 2. neubearbeitete Auflage, 2000
[BMVBW04k] Blennemann, Friedhelm , Grossmann, Helmut , Hintzke, Annerose , Sieger, Volker , et al. Auswirkungen des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) und zur Änderung anderer Gesetze auf die Bereiche Bau und Verkehr, Köln/Mainz, 2004/11
[Dest22q] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Schwerbehinderte Menschen am Jahresende, 2022/6/22
[EDAD10] Europäisches Institut Design für Alle in Deutschland e.V. (EDAD) Internetseiten des Europäischen Instituts Design für Alle in Deutschland e.V., veröffentlicht in EDAD, 2010
[FGSV99b] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (Hrsg.) Öffentlicher Personennahverkehr - Anforderungen jüngerer Menschen an öffentliche Verkehrssysteme , Köln, 1999
Weiterführende Literatur
[StBA14] Statistisches Bundesamt, Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 7,5 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland, Ausgabe/Auflage Pressemitteilung 266, 2014/07/29
[VDV03b] Blennemann, Friedhelm,, Girnau, Günter,, Grossmann, Helmut Barrierefreier ÖPNV in Deutschland, Ausgabe/Auflage 1. Auflage, Alba Fachverlag/Düsseldorf, 2003, ISBN/ISSN 3-87094-656-3
[REB10] Rebstock, M. Barrierefreie Verkehrsanlagen, veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik, Ausgabe/Auflage Heft 12/2010, Kirschbaum Verlag GmbH / Bonn, 2010
[BMVBS12r] Böcker, M., Schneider, A., Bauer, U. Barrieren in Stadtquartieren überwinden, Berlin, 2012/05
[Raue03] Rauen, Dieter Behindertengleichstellung im Öffentlichen Personennahverkehr, veröffentlicht in Verkehr und Technik , Ausgabe/Auflage Heft 5, 2003
[Mühr12] Mühr, W. Handbuch Barrierefrei im Verkehrsraum
LEITdetails für Planung und Bauausführung, Ausgabe/Auflage 2. überarbeitete Auflage, 2012/07
[HBVA11] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen (H BVA), 2011/06
[Topp03] Rau, A.,, Heipp, G.,, Fuss, U., et al. mobil & barrierefrei - planen, bauen, nachrüsten, veröffentlicht in Grüne Reihe des Fachgebietes Verkehrswesen der Universität Kaiserslautern, 2003/03 und 2003/06
[Böll19] Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.) Mobilitätsatlas 2019 - Daten und Fakten zur Verkehrswende, 2019/11
[BGG] Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
[BOStrab] Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung - BOStrab)
[EBO] Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO)
[FStrG] Bundesfernstraßengesetz (FStrG)
[GVFG] Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz - GVFG)
[PBefG] Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
Glossar
Barrierefreiheit
Barrierefreiheit bedeutet, dass bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?30223

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 02:29:03