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Unterschiede bei den Risikokosten der öffentlichen und der privaten Akteure

Erstellt am: 14.03.2010 | Stand des Wissens: 14.02.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Infrastrukturwirtschaft und -management - Prof. Dr. Thorsten Beckers
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Eine Größe ist risikobehaftet, wenn ihr Ergebnis positiv oder negativ von einem Erwartungswert abweichen kann. [Krus05, S. 298 ff.] Zum Teil wird in diesem Zusammenhang auch der von der "Varianz" operationalisierte Umfang der Abweichungen einer Größe vom Erwartungswert als Risikohöhe oder Risiko bezeichnet. Damit wird in dieser Studie nicht der häufigen Verwendung des Begriffes Risiko gefolgt, nach der Risiko ausschließlich eine Verlustgefahr anzeigt.

Private Wirtschaftssubjekte sind regelmäßig risikoavers, das heißt die Übernahme von Risiko verursacht bei ihnen Kosten. Je größer ein Risiko ausfällt (im Sinne der Höhe der Varianz), umso höher sind die anfallenden Kosten. Diese Risikoaversion ist unter anderem durch den abnehmenden Grenznutzen des Einkommens bedingt.

Nach dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) kann Risiko in systematisches und spezifisches Risiko unterteilt werden. Das spezifische Risiko kann von den privaten Wirtschaftssubjekten - unter der Annahme, dass die Benutzung von Märkten keine Transaktionskosten hervorruft und Kapitalmärkte vollkommen sind - durch Diversifizierung eliminiert werden und verursacht dann keine Kosten der Risikoübernahme. Der nicht-diversifizierbare Risikoanteil ist das systematische Risiko oder "Marktrisiko". Nach dem CAPM sollten Wirtschaftssubjekte bei ihren Investitionsentscheidungen nur das systematische Risiko von Projekten in ihr Kalkül einbeziehen, da ausschließlich die Übernahme von systematischem Risiko bei den Investoren Kosten verursacht. In der Realität sind Kapitalmärkte unvollkommen, weshalb auch spezifisches Risiko von Investoren berücksichtigt wird. In diesem Zusammenhang weist die Neue Institutionenökonomik auf Probleme hin, die sich im Falle einer Diversifizierung gemäß der Aussagen des CAPM ergeben: Stark diversifizierte Investoren, die an einzelnen Unternehmen nur kleine Anteile besitzen würden, hätten keine Anreize, dass Management effizient zu überwachen, was wiederum dessen Performance-Anreize reduzieren würde. [ShVi97, S. 753 ff.] Das Potenzial zur erfolgreichen Diversifikation durch einzelne Unternehmen wird wiederum begrenzt durch Kontrollprobleme und die grundsätzlich als begrenzt einzustufenden Fähigkeiten auf der Managementebene, Beteiligungen in vollkommen unterschiedlichen Industrien zu steuern. [Tiro06, S. 158 ff.] Aufgrund der Unvollkommenheit der Kapitalmärkte wird in dieser Studie - soweit nicht gesondert erwähnt - keine isolierte Betrachtung des spezifischen und des systematischen Risikoanteils vorgenommen. Die Höhe der Kosten der Risikoübernahme bei privaten Wirtschaftssubjekten ist im Endeffekt davon abhängig, welche Risikoeinstellung sie besitzen, wie hoch das Risiko von Projekten ist und zu welchen Kosten sie diversifizieren können.

Im Gegensatz zu privaten Wirtschaftssubjekten kann die öffentliche Hand in Bezug auf ihre Risikoeinstellung grundsätzlich als risikoneutral eingestuft werden. Zum einen investiert der Staat aufgrund seines Aufgabenspektrums in eine Vielzahl von Projekten, so dass gemäß Vickrey (1964) (spezifisches) Risiko vollständig diversifiziert wird. [Vick64] Zum anderen verteilt der Staat gemäß Arrow / Lind (1970) Risiko auf eine sehr große Anzahl von Individuen beziehungsweise Steuerzahlern, was als "Risikostreuung" bezeichnet wird. [Arro70] Unter der Annahme, dass die Zahlungsströme eines Projektes nicht mit dem sonstigen Einkommen der Bevölkerung korreliert sind, zeigen Arrow / Lind (1970), dass die über die gesamte Gesellschaft aggregierten Kosten der Risikoübernahme bei einer unendlich großen Anzahl von Individuen gegen Null gehen. Dies ist wie folgt zu erklären: Bei der Aufteilung eines Risikos auf eine größere Personenanzahl besteht ein Effekt darin, dass bei den einzelnen risikoaversen Wirtschaftssubjekten die durch eine Risikoübernahme verursachten Kosten zurückgehen, da die Wirtschaftssubjekte jeweils einem kleineren Risiko ausgesetzt sind. Zur Ermittlung der Gesamtkosten der Risikoübernahme muss zwar über eine größere Anzahl von Individuen aggregiert werden; allerdings ist der beschriebene "Risikostreuungseffekt" dominant, so dass bei einer Risikoaufteilung auf unendlich viele Individuen die Gesamtkosten der Risikoübernahme gegen Null gehen.

Von Foldes / Rees (1977) wird zu den Ergebnissen von Arrow / Lind (1970) angemerkt, dass die Rückflüsse aus staatlichen Investitionen in Projekte häufig mit der Wirtschaftsentwicklung und damit dem Einkommen der Bevölkerung korreliert sind, weshalb die Aussagekraft der Ergebnisse von Arrow / Lind (1970) begrenzt sei. [FoRe77, Arro70] Allerdings argumentieren Spackman (1991), Spackman (2004) und Quiggin (2005), dass die aus diesem Grund bei der öffentlichen Hand anfallenden Kosten für die Übernahme von systematischem Risiko sehr begrenzt und deutlich unterhalb der auf privater Seite anfallenden Kosten sowie häufig vernachlässigbar sind. [Spack91, Spack04, S. 507 ff. und Quig05, S. 67 ff.]

Vor diesem Hintergrund dürften die Kosten der Risikoübernahme der öffentlichen Hand bei großen Gebietskörperschaften grundsätzlich nahezu Null betragen. Bei einzelnen Projekten, bei denen Ein- und / oder Auszahlungen stark mit der Wirtschaftsentwicklung korreliert sind, fallen gegebenenfalls (leicht) höhere Kosten aufgrund systematischen Risikos an, die gegebenenfalls bei Entscheidungen berücksichtigt werden sollten. Aber auch diese sind geringer als bei einer Risikotragung durch private Wirtschaftssubjekte, so dass für die konzeptionellen Überlegungen dieser Wissenslandkarte vereinfachend davon ausgegangen wird, dass beim Staat keine beziehungsweise vernachlässigbare Kosten der Risikoübernahme anfallen.

Bei sehr kleinen Staaten ist zu berücksichtigen, dass diese häufig nur eine relativ geringe Anzahl von Investitionsprojekten haben, auf die Risiko diversifiziert wird, und ihre Risiken auf weniger Steuerzahler streuen. Daher kann für kleine Kommunen abgeleitet werden, dass diese nicht risikoneutral agieren sollten. [McMc88, S. 15 f.]

Sofern jedoch zwischen Kommunen und übergeordneten, größeren Gebietskörperschaften ein Haftungsverbund besteht, ist eine differenziertere Betrachtung erforderlich. Zwar ist fraglich, ob beziehungsweise inwieweit in Deutschland zwischen Kommunen einerseits und Bundesländern oder dem Bund andererseits ein Haftungsverbund de jure existiert; aber dies wird zumindest de facto vom Kapitalmarkt angenommen, was aus den annähernd gleichen Kreditkonditionen von Bund, Ländern und Kommunen abgeleitet werden kann. Dies könnte darauf hindeuten, dass im Endeffekt auch kleine Kommunen Risiken auf eine sehr große Anzahl an Steuerzahlern streuen und sich dementsprechend nahezu risikoneutral verhalten sollten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Haftung übergeordneter staatlicher Ebenen erst nach Nutzung nahezu aller auf kommunaler Ebene zur Verfügung stehenden Mittel der Haushaltskonsolidierung - insbesondere drastische Beschränkung von Ausgaben und weit reichende Nutzung der vergleichsweise limitierten Steuererhebungskompetenzen - greifen wird. Aufsichtsbehörden der Bundesländer können beispielsweise den Handlungsspielraum von Kommunen durch das Instrument der Haushaltssicherung begrenzen. Insofern fallen bei den Bewohnern und den Steuerzahlern der entsprechenden Gebietskörperschaft entsprechend hohe Kosten bzw. Wohlfahrtsverluste an, bevor der Haftungsverbund greift. Daher ist trotz des Haftungsverbundes abzuleiten, dass kleine Kommunen nicht risikoneutral agieren sollten, auch wenn der Haftungsverbund den Grad der Risikoaversion reduziert. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Haftungsverbund neben dem (positiven) Effekt der Reduktion der Kosten der Risikoübernahme bei kleinen Kommunen mit dem (negativen) Effekt der Reduktion der Anreize zur Ausgabenkontrolle einhergehen dürfte.

Hieran anknüpfend stellt sich die Frage, welche Risikoeinstellung eine kleine Verwaltungseinheit besitzen sollte, die innerhalb einer großen, grundsätzlich risikoneutralen Gebietskörperschaft mit der Durchführung eines großen und risikoreichen Projektes betraut ist. Sofern dieser Verwaltungseinheit die für die Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel langfristig in pauschalisierter Form und ohne Berücksichtigung der bei dem risikoreichen Projekt tatsächlich angefallenen Kosten zugewiesen bekommt, ist eine risikoneutrale Einstellung problematisch und nicht gerechtfertigt. Allerdings bietet es sich in einem derartigen Fall an, Risiko auf Ebene des Gesamthaushalts zu tragen, so dass dann doch Risikoneutralität im Hinblick auf die Projektdurchführung vorliegt. In diesem Zusammenhang ist jedoch wiederum darauf hinzuweisen, dass bei der Risikozuordnung innerhalb des öffentlichen Sektors die damit einhergehenden Anreizwirkungen zu beachten sind.

Abschließend kann festgehalten werden, dass - von den aufgezeigten Ausnahmen und Einschränkungen abgesehen - von der öffentlichen Hand eine risikoneutrale Betrachtung verlangt werden sollte. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass in der Praxis Entscheidungsträger der öffentlichen Hand oftmals risikoavers handeln, da beispielsweise ihre Karriere vom Erfolg einzelner Projekte abhängt. [McMc88, S. 15] Aber diese positive Beobachtung sollte nicht mit der normativen Forderung nach Risikoneutralität verwechselt werden. Durch risikoneutrales Verhalten der öffentlichen Hand können Ausgaben der öffentlichen Hand reduziert und volkswirtschaftliche Kosten gesenkt werden. [McMc88]
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Potenziale und Erfolgsfaktoren des PPP-Ansatzes (Stand des Wissens: 15.02.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?294833
Literatur
[Arro70] Arrow, Kenneth J.; , Lind, Robert C. , Uncertainty and the Evaluation of Public Investment Decisions, veröffentlicht in American Economic Review, Ausgabe/Auflage volume 60, year 1970, issue 3, Nashville, 1970/06
[FoRe77] Foldes, L., Rees, R. A Note on the Arrow-Lind Theorem, veröffentlicht in American Economic Review, Ausgabe/Auflage Vol. 67, 1997
[Krus05] Kruschwitz, L. Investitionsrechnung, Ausgabe/Auflage 10. Auflage, Vahlen München, 2005
[McMc88] McAfee, R. P., McMillian, J. Incentives in Government Contracting, University of Toronto Press Toronto, 1988
[Quig05] Quiggin, J. Risk and Discounting in Project Evaluation, veröffentlicht in Risk in Cost-Benefit-Analysis, Ausgabe/Auflage Report 110, 2005
[ShVi97] Shleifer, A., Vishny, R. W., A Survey of Corporate Governance, veröffentlicht in The Journal of Finance, Ausgabe/Auflage Vol. 52, No. 2, 1997
[Spack04] Spackman, M. Time Discounting and the Cost of Capital in Government, veröffentlicht in Fiscal Studies, Ausgabe/Auflage Vol. 25, No. 4, 2004
[Spack91] Spackman, M. Discount Rates and Rates in the public sector, 1991
[Tiro06] Tirole, J. The Theory of Corporate Finance, Princeton University Press, 2006
[Vick64] Vickrey, William (Nobelpreisträger 1996) Principles of Efficiency - Discussion, Ausgabe/Auflage Volume 54, year 1964, Nr. 3, Nashville, 1964/05
Glossar
Grenznutzen Der Grenznutzen beschreibt den Nutzen der nächsten zu konsumierenden Einheit eines Gutes. Im Allgemeinen wird angenommen, dass der Grenznutzen umso geringer wird, je mehr zuvor von dem Gut konsumiert wurde. Der Grenznutzen ist also abhängig von der konsumierten Gesamtmenge. Sinkt der Grenznutzen auf null, bringt der Konsum des Gutes dem Konsumenten keinen Nutzenzuwachs.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?292187

Gedruckt am Mittwoch, 24. April 2024 20:33:37