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Entwicklung der Binnenschifffahrt in Deutschland

Erstellt am: 13.03.2010 | Stand des Wissens: 12.12.2023
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Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig

Das Güterverkehrsaufkommen der Binnenschifffahrt in Deutschland hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten kaum verändert (vergleiche Abbildung 1). Im Jahr 1992 wurden insgesamt rund 230 Millionen Tonnen Güter mit Binnenschiffen transportiert, im Jahr 2008 lag das Verkehrsaufkommen der Binnenschifffahrt bei circa 245 Millionen Tonnen. Bedingt durch die Wirtschaftskrise sank das Aufkommen im Jahr 2009 auf etwa 200 Millionen Tonnen, stabilisierte sich anschließend jedoch wieder und stagnierte seit 2015 bei ungefähr 222 Millionen Tonnen. Gleiches gilt für die Verkehrsleistung, die konstant bei ungefähr 55 Milliarden Tonnenkilometern lag. Einen Tiefpunkt verzeichnete die Binnenschifffahrt im Jahr 2018, in der die Verkehrsleistung auf etwa 47 Milliarden Tonnenkilometer und das Verkehrsaufkommen auf knapp 198 Millionen Tonnen sank. Eine Ursache für diesen Tiefpunkt war die außergewöhnlich langanhaltende Niedrigwasserphase auf deutschen Flüssen in Folge von Dürren, von der sich die Binnenschifffahrt auch im Folgejahr noch nicht vollständig erholte [BMVI19ah; BAG20; Dest23f].

Nach einer kurzen Erholungsphase sanken das Güterverkehrsaufkommen und die -leistung der Binnenschifffahrt im Jahr 2020 aufgrund der Corona-Pandemie erneut, erholte sich davon allerdings im Folgejahr wieder. Dennoch sank 2022 sowohl die Verkehrsleistung als auch das Verkehrsaufkommen auf 44 Milliarden Tonnenkilometer beziehungsweise 188 Millionen Tonnen. Dieser Rückgang ist zum Teil auf die verringerte Herstellung von wichtigen Transportprodukten und den gesunkenen Wasserstand im August 2022 zurückzuführen [Dest22e; Dest23e].

Aus Abbildung 1 wird ersichtlich, dass das konstante Güterverkehrsaufkommen lange Zeit insbesondere eine Folge steigender Gütertransporte ausländischer Binnenschiffe (55 Prozent im Jahr 1992, 70 Prozent im Jahr 2020) auf deutschen Binnenwasserstraßen war. Das transportierte Güteraufkommen von Schiffen mit deutscher Beflaggung war seit der Wiedervereinigung rückläufig. Im Jahr 2018 konnten Binnenschiffe unter deutscher Flagge ihren Marktanteil erstmals wieder leicht ausbauen. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Einsatzmöglichkeiten vieler großer Schiffe der niederländischen Flotte, die einen großen Anteil der ausländischen Binnenschiffe ausmachen, während der Niedrigwasserphase aufgrund ihres Tiefgangs stark eingeschränkt waren [BAG20].


Verkehrsaufkommen Binnenschifffahrt.jpgAbb. 1: Güterverkehrsaufkommen der Binnenschifffahrt in Deutschland, eigene Darstellung nach BMVI22a


Bei der Betrachtung des Güterumschlags in deutschen Binnenhäfen hebt sich Duisburg als größter deutscher Binnenhafen deutlich von den anderen Häfen ab. Abgesehen von dem Duisburger Hafen zeigt der Markt für Binnenhäfen eine atomisierte Struktur mit einer Vielzahl von kleinen Akteuren [BAG20]. Im Jahr 2020 haben nur zwei Häfen mehr Güter im Vergleich zum Vorjahr umgeschlagen. Das einzige Wachstum verzeichneten dabei die Häfen Ludwigshafen und Frankfurt am Main mit 2,5 beziehungsweise 5,4 Prozent. In den beiden größten Binnenhäfen Duisburg und Hamburg ist wiederum ein Rückgang des Güterumschlags im Vergleich zum Vorjahr zu beobachten. Während der Umschlag in Duisburg um 11,3 Prozent auf 42,4 Millionen Tonnen sank, verringerte sich der Umschlag in Hamburg um 9,2 Prozent auf 7,9 Millionen Tonnen [Dest22e].


Gueterumschlag deutsche Binnenhaefen.jpgAbb. 2: Güterumschlag der größten deutschen Binnenhäfen in den Jahren 2019 und 2020, eigene Darstellung nach Dest22e


Fahrzeugbestand und Ausflaggung
Das sinkende Güterverkehrsaufkommen von Binnenschiffen unter deutscher Flagge macht sich auch im Fahrzeugbestand beziehungsweise der Binnenflotte der Bundesrepublik bemerkbar [BMVI19ah]. Die Anzahl der Motorschiffe hat sich von 1.297 im Jahr 2001 auf 1.171 Schiffe im Jahr 2020 reduziert, dabei gab es einen kleinen Anstieg im Jahr 2018 [WSV21]. Die Ausflaggung von Binnenschiffen im europäischen Raum ist dabei ein entscheidender Faktor. Schiffe werden in das Schiffsregister anderer Länder eingetragen, in denen die gesetzlichen Rahmenbedingungen günstiger sind als in Deutschland (zum Beispiel geringere Besatzungszahl, niedrigere Löhne und Registrierkosten, geringere Sicherheitsstandards) [BMVI19ah]. Abbildung 3 zeigt die Entwicklung des Fahrzeugbestandes der Binnenschifffahrtsflotte in Deutschland von den Jahren 2001 bis 2020.



Binnenflotte.jpgAbb. 3: Entwicklung des Fahrzeugbestandes der Binnenflotte in Deutschland, eigene Darstellung nach WSV21
Hauptkonkurrenten bei der Registrierung von Binnenschiffen sind andere EU-Staaten. Eine Vielzahl der Binnenschiffe in Europa ist in den Niederlanden registriert, um einen Kostenvorteil unter anderem durch einen niedrigen Versicherungssteuersatz zu erlangen [PLANCO03a]. Eine weitere Ausflaggung (wie seit den 1980er Jahren auch in der Seeschifffahrt zu beobachten) könnte zum Beispiel durch eine entsprechende Anpassung des Versicherungssteuersatzes in Deutschland verhindert werden [Bell2007; PLANCO03a].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Güterverkehrsentwicklung in Deutschland (Stand des Wissens: 27.09.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?293800
Literatur
[BAG20] Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) Marktbeobachtung Güterverkehr - Jahresbericht 2019, 2020/10
[Bell2007] Bellinger, F. Staatliche Förderungsmaßnahmen der deutschen Handelsflotte, Ausgabe/Auflage Auflage 1., GRIN Verlag, 2007, ISBN/ISSN 3638673251
[BMVI19ah] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr in Zahlen 2019/2020, Ausgabe/Auflage 48. Jahrgang, 2019
[BMVI22a] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) Verkehr in Zahlen 2021/2022, 2022/02/21
[Dest22e] Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.) Verkehr aktuell Fachserie 8 Reihe 1.1, 2022/02
[Dest23e] Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.) Beförderungsmenge und Beförderungsleistung nach Verkehrsträgern, 2023/09/08
[Dest23f] Statistisches Bundesamt, Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt, 2023/09
[PLANCO03a] o.A. Potenziale und Zukunft der deutschen Binnenschifffahrt, 2003/11
[WSV21] Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (Hrsg.) Veränderungen des Schiffsbestandes der deutschen Binnenflotte im Jahr 2020 - Zentrale Binnenschiffsbestandsdatei, 2021/08
Glossar
tkm tkm = Tonnenkilometer Die Einheit Tonnenkilometer [tkm] beschreibt die im Rahmen einer Güterbeförderung erbrachte Verkehrsarbeit. Diese definiert sich als Produkt der Gütermenge (Summe der beförderten Güter in Tonnen) und der von dieser dabei zurückgelegten Wegstrecke in km. Verkehrsarbeit [tkm] = Gütermenge [t] * Wegstrecke [km]
Ausflaggungsproblematik Schiffe werden in das Schiffsregister von Billigflaggenländern (z.B. Panama, Bahamas, Zypern, Singapur) eingetragen. Sie unterliegen dann den gesetzlichen Bestimmungen der Länder (z.B. geringere Besatzungszahl, niedrigere Löhne, Registrierkosten, geringere Sicherheitsstandards usw.) Billigflaggenländer führen meist 'offene Schiffregister', d.h. jeder Reeder kann seine Schiffe dort registrieren lassen. Deutsche Reeder nutzen nur Flaggen der so genannten 'Weißen Liste', die den höchsten Sicherheitsstandards genügen.
Verkehrsaufkommen Das Verkehrsaufkommen beschreibt die Anzahl der zurückgelegten Wege, beförderten Personen oder Güter pro Zeiteinheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das spezifische Verkehrsaufkommen auf zurückgelegte Wege und beschreibt die mittlere Anzahl der Ortsveränderungen pro Person und Zeiteinheit.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?292063

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 03:24:54