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Maritime Kompetenzen in Deutschland

Erstellt am: 17.01.2003 | Stand des Wissens: 15.05.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Die maritime Wirtschaft ist aufgrund ihrer vielfältigen Verflechtungen mit anderen Wirtschaftsbereichen sowohl auf Bundesebene als auch für die Küstenländer von Interesse. Mit dem erwarteten Anstieg des Verkehrsaufkommens und dem damit verbundenen Ziel, zusätzliche Verkehre auf See- und Wasserwege zu verlagern, wird die maritime Wirtschaft weiter an Bedeutung gewinnen. Allerdings verlieren einzelne Bereiche, unter anderem der deutsche Schiffbau. Im September 2008 belief sich die Zahl der direkt Beschäftigten auf den deutschen Werften noch auf insgesamt 20.530 Beschäftigte, doch drei Jahre später zeigte die Bilanz der letzten Krisenjahre rund 4.200 fehlende Arbeitsplätze auf deutschen Werften. Bis zum Jahr 2019 sind die Zahlen wieder auf 20.335 Beschäftigte im Schiffbau gewachsen. Durch die Corona-Pandemie kam es zu einem erneuten Einbruch bei den Beschäftigten. Im Jahr 2021 zählte der Schiffbau 19.332 direkte Beschäftigte [MAR22, S. 173].
Zur maritimen Wirtschaft zählen verschiedene Branchen. Sind sie regional dicht vertreten und ihre Unternehmen durch horizontale und vertikale Verknüpfungen eng verbunden, so spricht man von einem maritimen Cluster. Durch die Anregung und Förderung von Kooperationen zwischen Unternehmen der verschiedenen Branchen lassen sich Produktivitäts-, Kosten- und Marktvorteile generieren, die die Wettbewerbsposition des gesamten Clusters stärken [EuKom06c, S. 22].
Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Seeschifffahrt kann über ihre Funktionen dargestellt werden. Zu nennen sind:
  • Transport- und Versorgungsfunktion: Deutschland wickelt etwa 60 Prozent seines Exportes über den Seeweg ab und importiert als rohstoffarmes Land nahezu 100 Prozent der benötigten Rohstoffe (Kohle, Öl, Erze) für Schlüsselbranchen wie Automobilindustrie, Informationstechnologien, Chemie, Energie, Luft- und Raumfahrt über den Seetransport [BMWi11d, S. 29].
  • Wachstums- und Beschäftigungsfunktion: Die direkte Beschäftigung in der Seeschifffahrt hat gesamtwirtschaftlich nur eine marginale Bedeutung, wobei aber die Auswirkung auf andere Wirtschaftsbereiche nicht vernachlässigt werden darf unter anderem im Schiffbau und der Zulieferindustrie. Die Bedeutung der Wachstumsfunktion des Seeverkehrs wird deutlich in der zunehmenden Globalisierung des Handels und dem damit steigenden Transportaufkommen.
  • Zahlungsbilanzfunktion: Durch eine wettbewerbsfähige Handelsflotte ist eine positive Beeinflussung der Zahlungsbilanz möglich. Durch eine Senkung der Ausgaben für Frachten an ausländische Transporteure und eine Erhöhung der Frachteinnahmen der eigenen Flotte kann der Zahlungsbilanzsaldo positiv beeinflusst werden.
  • Innovationsfunktion durch die Ausstrahlung der nationalen Schifffahrt auf den technischen Fortschritt in Schifffahrt und Schiffbau.
  • sicherheitspolitische Funktion
Des Weiteren wird der Seeverkehrswirtschaft eine strukturpolitische Funktion zugewiesen und es resultiert eine Ausstrahlung der nationalen Seeverkehrswirtschaft auf andere Branchen [BiAl04, S. 131 f.]. Die regionale wirtschaftliche Ausstrahlung der Seeverkehrswirtschaft ist für die Küstenländer wichtig. Hier bewirken vor allem die Seehäfen direkte und indirekte Effekte in Form von Beschäftigungs-, Einkommens- und Steuerwirkungen. Beispielsweise sind im Jahr 2021 in etwa 80.000 Arbeitsplätze von der maritimen Wirtschaft abhängig, in Mecklenburg-Vorpommern sind es etwa 63.000 [BI20; IHK21, S.4]. 
Charakteristisch für den Seeverkehr ist die internationale Ausrichtung. Der Prozess der Globalisierung ist hier seit Jahrzehnten akut, da zahlreiche Wettbewerbsfaktoren international bestimmt werden [BrDi07, S. 4f.]. Die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge und die Zahl der an Bord beschäftigten deutschen Seeleute sind seit langer Zeit rückläufig. Hauptursache hierfür ist die Möglichkeit, dass Reedereien durch Flaggenwechsel oder gar Verlegung des gesamten Managements ins Ausland vor allem im Personalbereich erhebliche Kosten einsparen und Steuerbelastungen verringern können. Somit erweisen sich die in Deutschland im internationalen Vergleich hohen Personalkosten als Standortnachteil für deutsche Reedereien, durch den ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit geschwächt wird.
Da die ergriffenen Maßnahmen gegen die Ausflaggung deutscher Handelsschiffe diese bisher nicht stoppen konnten, besteht in der Konsequenz weiterhin die Gefahr, dass die deutsche Seeschifffahrt ihre gute Position im weltweiten Wettbewerb verliert und maritimes Know-how in Deutschland verloren geht. Ziel muss es somit sein, durch den gezielten Abbau von Standortnachteilen Deutschland als Standort einer wettbewerbsfähigen Seeschifffahrt zu sichern und Seeschifffahrts-Know-how im Land zu erhalten.
Forschung und Politik bemühen sich, geeignete Lösungsansätze für eine Sicherung und Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu finden. In der Politik wurden in den letzten Jahren zahlreiche Projekte auf den Weg gebracht, die die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen positiv beeinflussen sollen. Zur Stärkung der maritimen Wirtschaft bieten sich Lösungsansätze an, die die Komplexität des maritimen Sektors berücksichtigen. Die Förderung der Entwicklung des maritimen Clusters aus den Branchen des maritimen Sektors - Seeschifffahrt, Seehäfen und Schiffbau - ist hier als Lösungsansatz besonders hervorzuheben. In dieser Karte sollen die Betrachtungen auf die Seeschifffahrt beschränkt bleiben.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Maritime Kompetenzen in Deutschland (Stand des Wissens: 15.05.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?409965
Literatur
[BI20] bremen-innovativ.de (Hrsg.) Maritime Wirtschaft & Logistik, 2020
[BiAl04] Biebig, P., Althof, W., Wagener, N., Seeverkehrswirtschaft : Kompendium, Ausgabe/Auflage 3., erg. Aufl., Oldenbourg / München u.a., 2004, ISBN/ISSN 3-486-27229-2
[BMWi11d] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Maritime Technologien der nächsten Generation. Das Forschungsprogramm für Schiffbau, Schifffahrt und Meerestechnik 2011 - 2015, 2011/05
[BrDi07] Arno Brandt, , Marie Christin Dickow, , Alexander Skubowius Von Nanking bis Altenwerder, veröffentlicht in RegioPol , 2007
[EuKom06c] Europäische Kommission (Hrsg.) GRÜNBUCH - Die künftige Meerespolitik der EU: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere, Brüssel, 2006/06/07
[IHK21] Industrie und Handelskammer zu Rostock (Hrsg.) Positionspapier der maritimen Wirtschaft in MV, 2021
[MAR22] Marinekommando (Hrsg.) Jahresbericht 2022: Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland, 2022
Glossar
Ausflaggungsproblematik Schiffe werden in das Schiffsregister von Billigflaggenländern (z.B. Panama, Bahamas, Zypern, Singapur) eingetragen. Sie unterliegen dann den gesetzlichen Bestimmungen der Länder (z.B. geringere Besatzungszahl, niedrigere Löhne, Registrierkosten, geringere Sicherheitsstandards usw.) Billigflaggenländer führen meist 'offene Schiffregister', d.h. jeder Reeder kann seine Schiffe dort registrieren lassen. Deutsche Reeder nutzen nur Flaggen der so genannten 'Weißen Liste', die den höchsten Sicherheitsstandards genügen.
Transporteur Transporteure (auch Frachtführer genannt) führen den physischen Transport aus.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?28284

Gedruckt am Mittwoch, 24. April 2024 16:35:33