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Personalrechtliche Aspekte von Betriebsübergängen im Rahmen des Outsourcings

Erstellt am: 15.06.2007 | Stand des Wissens: 01.09.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten

Personalrechtliche Aspekte sind bei komplexen Outsourcing-Projekten von zentraler Bedeutung, weil sie nicht nur den Verlader und den Dienstleister, sondern insbesondere den Arbeitnehmer erheblich betreffen. Personalrechtlich stellt sich vor allem die Frage, ob das Outsourcing-Projekt einen Betriebsübergang im engeren Sinne konstituiert, der aus deutscher Sicht insbesondere durch den Paragrafen 613a, Absatz 1 und Absatz 2 des BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) geregelt wird. Liegt ein solcher Betriebsübergang vor, dann tritt zusammengefasst die übernehmende Gesellschaft (Dienstleister) für die übernommenen Mitarbeiter in die Rechte und Pflichten der bestehenden Arbeitsverhältnisse ein [KlPr07, S. 374].

Der Logistikdienstleister wird durch die Übernahme von Rechten und Pflichten in seiner unternehmerischen Freiheit wesentlich eingeschränkt. Einschneidende Personalmaßnahmen können vom Dienstleister kurzfristig nicht durchgeführt werden. So sind Anpassungen der Arbeitsverhältnisse zum Beispiel vor Ablauf eines Jahres nicht erlaubt und auch angestrebte Personalkostenvorteile aufgrund günstiger Gehaltsstrukturen kaum zu erzielen [BGB §613a; Mühl12, S. 132f.].

Ob in einem Outsourcing-Projekt rechtlich ein Betriebsübergang oder durch die bloße Übernahme einer Tätigkeit die damit arbeitsrechtlich unproblematischere Funktionsnachfolge vorliegt, ist in Europa nicht einheitlich geregelt. Mittlerweile existieren aber eine Reihe von Einzelfallentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs wie die "Christel-Schmidt-Entscheidung" [EuGH94], die "Ayse-Süzen-Entscheidung" [EuGH97] oder das "Abler"-Urteil [EuGH03], die eine Richtung vorgeben, denen die deutsche Rechtsprechung überwiegend zu folgen scheint. Trotzdem bedarf es einer fallbezogenen Rechtsprechung.
Erforderlich für einen Betriebsübergang im engeren Sinne ist, dass durch ein Rechtsgeschäft eine wirtschaftliche Einheit auf einen anderen übertragen wird und diese bei dieser Übernahme ihre bisherige Identität wahrt. Die Beurteilung dieses Sachverhalts hängt stets von einer "typisierenden Gesamtbeurteilung" der jeweiligen Umstände ab [BAG97]. In der Praxis hat sich dazu ein 7-Punkte-Katalog herausgebildet, der die Kriterien der Identitätswahrung bei Betriebsübergängen zusammenfasst und im Folgenden nach Stölzle aufgeführt sind [KlPr07, S. 374ff.].

Ohne im Einzelnen darauf einzugehen, sind letztlich drei Varianten der Identitätswahrung zu unterscheiden. Handelt es sich um Betriebe, in denen sachliche Betriebsmittel eine zentrale Rolle spielen, hat deren Übergang prägende Bedeutung für die Wahrung der wirtschaftlichen Identität. Sind dagegen immaterielle Betriebsmittel wie Spezialkenntnisse oder "good will" wesentlich für das Geschäft, kann deren Übergang entscheidend sein. Wenn es schließlich personalintensive Betriebe sind, in denen der bloße Personaleinsatz im Vordergrund steht, kann der Übergang wesentlicher Belegschaftsteile (nach Anzahl oder Sachkunde) maßgeblich sein. Bei hoch qualifizierten Arbeitnehmern kann im Extremfall die Übernahme eines Arbeitnehmers zur Erfüllung des Kriteriums genügen, wenn dieser das gesamte Know-how des Betriebes in seiner Person verkörpert und andere wesentliche Betriebsmittel mit übergehen. Neuere Rechtsprechung bezieht sich insbesondere auf die Ausgestaltung und Zulässigkeit von Personalauffanggesellschaften im Rahmen des Outsourcings von Logistikleistungen [KlPr07, S. 374f.]. Bei Nichtbeachtung der personalrechtlichen Aspekte können auf die beteiligten Unternehmen unerwartete Kosten sowohl für Rechtsstreitigkeiten als auch für eine abweichende Vergütung von Mitarbeitern zukommen.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Kontraktlogistik (Stand des Wissens: 01.09.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?285349
Literatur
[BAG97] Bundesarbeitsgericht Urteil - 8 AZR 101/96 - Betriebsstillegung durch Konkursverwalter, 1997/05/22
[EuGH03] Europäischer Gerichtshof Carlito Abler u. a. gegen Sodexho MM Catering Gesellschaft mbH, 2003/11/20
[EuGH94] Europäischer Gerichtshof URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 14. APRIL 1994. - CHRISTEL SCHMIDT GEGEN SPAR- UND LEIHKASSE DER FRUEHEREN AEMTER BORDESHOLM, KIEL UND CRONSHAGEN., 1994/04/14
[EuGH97] Europäischer Gerichtshof Urteil des Gerichtshofes vom 11. März 1997. - Ayse Süzen gegen Zehnacker Gebäudereinigung GmbH Krankenhausservice., 1997/03/11
[KlPr07] Rudolph, T.; , Pfohl, H.; , et. al., Klaus, Peter, Prof., Prockl, Günter, Dr. Handbuch Kontraktlogistik - Management komplexer Logistikdienstleistungen, Ausgabe/Auflage 1.Auflage, WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA/Weinheim, 2007, ISBN/ISSN 978-3-527-50203-5
[Mühl12] Mühlencoert, Thomas Kontraktlogistik-Management
Grundlagen - Beispiele - Checklisten, Gabler Verlag, Wiesbaden, 2012, Online-Referenz doi:10.1007/978-3-8349-3733-9
Rechtsvorschriften
[BGB] Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
[BGB §613a] Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 613a Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang
Glossar
Verlader Der Verlader ist derjenige Teilnehmer in der Transportkette, der die Ladung/Transportgut erstmals aufgibt. Unter einem Verlader versteht man ein Unternehmen, das Logistikdienstleistungen (Transport, Verladen etc.) bei einem Logistikdienstleister in Auftrag gibt.
Logistikdienstleister Logistikdienstleister (abgekürzt: LDL; Englisch: logistics service provider) bezeichnet die Weiterentwicklung des traditionellen Speditionsgeschäfts. Über Transport, Umschlag und Lagerung (TUL) hinaus bietet der LDL weitere Leistungen und Lösungen an, zum Beispiel kundenbezogene Lagerung, Kommissionierung, Assemblierung, Fakturierung usw. LDL und 3PL werden häufig synonym verwendet.
Outsourcing Beim Outsourcing (Fremdvergabe) werden Aufgaben oder Dienstleistungen, die nicht zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören, ausgelagert, das heißt an externe Unternehmen abgegeben. Die Ausgliederung von Logistikaktivitäten ist die häufigste Form des Outsourcings. Das Wort leitet sich von 'outside' und 'resourcing' ab.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

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Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 11:12:43