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Notwendigkeit und Nutzen von Verkehrsprognosen

Erstellt am: 11.04.2007 | Stand des Wissens: 17.10.2018
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Verkehrsprognosen dienen dem Zweck, "die Unsicherheit über Verläufe und Ergebnisse des zukünftigen Verkehrsgeschehens einzuschränken und damit das Risiko von Fehlentscheidungen zu verringern" ([Vah96], S. 1207). Dabei handelt es sich um in erster Linie um Entscheidungen von Politik, Verwaltung, Transportwirtschaft und Fahrzeugindustrie (vgl. [Vah96], S. 1207).
Die Prognosen werden dabei mit Hilfe von Verkehrsnachfragerechnungen durchgeführt. Es wird abgeschätzt, welche Verkehrsnachfrage ohne Infrastrukturmaßnahme auftritt und wie das Verkehrsaufkommen sich verändert, wenn die Verkehrsbedingungen durch die Maßnahme verbessert werden. Es handelt sich hierbei um empirische Modelle, die die Verkehrsnachfrage in Abhängigkeit der Verkehrsbedingungen quantifizieren.
Zum Beispiel sind Verkehrsprognosen unverzichtbar bei der Durchführung von Nutzen-Kosten-Analysen für bestimmte Verkehrsprojekte, wie der Ausbau der Infrastruktur. Die Notwendigkeit von Verkehrsprognosen ergibt sich daraus, dass in Nutzen-Kosten-Analysen ein Mit- und Ohne-Vergleich alternativer Verkehrsbedingungen durchgeführt wird, die unterschiedliche Mengen an Verkehrsnachfrage nach sich ziehen. Diese Nachfragemengen müssen im Rahmen von Nutzen-Kosten-Analysen in einem eigenen Rechenabschnitt prognostiziert werden. Zwischen Nutzen und zu prognostizierender Verkehrsnachfrage bestehen Zusammenhänge in mehrfacher Hinsicht:
  • Der Nutzen eines Verkehrsprojektes ergiebt sich daraus, dass Ressourceneinsparungen für die Verkehrsteilnehmer auftreten (zum Beispiel Zeit-, Betriebskosten, Unfallkostenersparnisse). Diese Kosteneinsparungen müssen mit den Verkehrsmengen auf dem jeweiligen Infrastrukturabschnitt multipliziert werden, die von der Einsparung profitieren. Als Indikatoren der Verkehrsmenge dienen die Verkehrs- oder Fahrleistungen. Da die Ressourcenersparnisse über die Lebensdauer des Infrastrukturprojektes anfallen, ist eine Prognose der künftigen Nachfragemengen erforderlich und den Nutzenberechnungen zugrunde zu legen.
  • Eine Nachfrageprognose ist notwendig, um den induzierten Verkehr von Infrastrukturprojekten zu erfassen. Durch Infrastrukturmaßnahmen treten Kostensenkungen bei der Benutzung ein. Dies führt zu einer Steigerung der Verkehrsnachfrage, die für den Betrachtungszeitraum prognostiziert werden muss. Die Nachfragesteigerung bewirkt eine stärkere Auslastung der Infrastrukturkapazität und mindert den Nutzen des Infrastrukturausbaus.
  • Eine weitere Wirkung, die eine Verkehrsprognose erfordert, sind eintretende Modal Split-Veränderungen zwischen den Verkehrsträgern. Dort, wo ausgebaut wird, kommt es zu Attraktivitätssteigerungen und Kostensenkungen. Verkehr wird umgelenkt zu dem Verkehrsträger, der ausgebaut wird. Dieser kommt in den Genuss verbesserter Verkehrsbedingungen. Die Modal Split-Änderung verändert die Verkehrsmengen, die in die Nutzen-Kosten-Analyse eingehen.
  • Verkehrsprognosen sind auch dann zu erstellen, wenn über die finanzielle Tragfähigkeit eines Verkehrsprojektes im Rahmen einer Nutzen-Kosten-Untersuchung eine Aussage getroffen werden soll, zum Beispiel ob eine Infrastrukturmaßnahme durch finanzielle Einnahmen gedeckt werden. Dies ist etwa der Fall bei Investitionen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) oder im Straßenverkehr bei Privatisierungsmodellen (wie etwa Autobahnausbau, Tunnel). In diesem Fall sind Prognosen über die Anzahl der Verkehrsnutzer erforderlich, um die finanziellen Konsequenzen abzuschätzen.
Nutzen-Kosten-Untersuchungen sind in der Bundesrepublik Deutschland als Planungs- und Entscheidungshilfen im öffentlichen Bereich haushaltsrechtlich vorgeschrieben (vgl. [Vah96], S. 1223). Sie kommen besonders bei der Bewertung von Verkehrsinfrastrukturprojekten zur Anwendung, beispielsweise bei der des Bundesverkehrswegeplans (vgl. [Vah96], S. 753).
Auf den Prognosen zur Verkehrsnachfrage aufbauend, "lassen sich Aussagen zum Verkehrsangebot (Verkehrsinfrastruktur, Verkehrsdienstleistungen) sowie zu den Auswirkungen des Verkehrs auf das Unfallgeschehen, den Energieverbrauch und die Emissionen ableiten" ([Vah96], S. 1207). Insofern können Verkehrsprognosen in weitaus mehr Bereichen als der oben beschriebenen Nutzen-Kosten-Analyse eine Entscheidungsgrundlage und wichtige Informationsquelle darstellen.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Verkehrsprognosen (Stand des Wissens: 27.02.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?226908
Literatur
[Vah96] verschiedene Autoren Vahlens Großes Logistik Lexikon, Verlag C. H. Beck München Verlag Franz Vahlen München, 1997, ISBN/ISSN 3 8006 2020 0
Weiterführende Literatur
[Vah93] Dichtl, E.;, Issing, O. Vahlens Großes Wirtschafts Lexikon , Ausgabe/Auflage 2. Auflage, Verlag C.H. Beck München Verlag Franz Vahlen München, 1993, ISBN/ISSN 3-8006-1698-X
Glossar
Kosten-Nutzen-Analyse
Die Nutzen-Kosten-Analyse ist ein Verfahren zur Quantifizierung von Vor- und Nachteilen von öffentlichen Investitionen über monetarisierte Kenngrößen. Dabei werden sämtliche positive Auswirkungen (Erträge, Nutzen) und sämtliche negative Auswirkungen (Kosten) eines Projektes in Geldeinheiten quantifiziert und ermittelt, ob der Saldo größer oder kleiner als Null ist. Es kann auch das Nutzen-Kosten-Verhältnis (Nutzen-Kosten-Quotient) ermittelt werden. Nutzen-Kosten-Untersuchungen sind in Deutschland bei öffentlichen Maßnahmen haushaltsrechtlich vorgeschrieben und sind als Bewertungsverfahren Bestandteil der Bundesverkehrswegeplanung oder als "Standardisierte Bewertung" Voraussetzung für eine Förderung aus dem GVFG-Großvorhabenprogramm.
Bundesverkehrswegeplan
Als Instrument einer mittel- bis langfristigen Investitionsrahmenplanung für den Erhalt und Ersatz bundeseigener Verkehrsinfrastruktur erfasst der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) das zwecks zielgerichteter Ausgestaltung sowie Erweiterung von Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Schienenwegen des Bundes erforderliche Finanzierungsvolumen. Auf Basis verkehrsträgerübergreifender Prognosen findet in diesem Zusammenhang eine Priorisierung vorgesehener Neu- und Ausbauprojekte gemäß ihrer gesamtwirtschaftlichen Bewertung sowie ökologischer und raumordnerischer Einschätzungen statt. Grundsätzlich wird infolgedessen zwischen "vordinglichem Bedarf" (VB) und "weiterem Bedarf" (WB) unterschieden.

Der BVWP tritt auf Beschluss des Bundeskabinetts in Kraft und umfasst jeweils einen Zeithorizont von circa zehn bis 15 Jahren. Seit 1973 sind bereits sechs konsekutive Verkehrswegepläne verabschiedet worden. Der letzten, dem Jahr 2016 entstammenden Fortschreibung liegt ein Planungszeitraum bis 2030 und ein Investitionsvolumen in Höhe von 269,6 Milliarden Euro zugrunde, siehe auch gesonderte Wissenslandkarte "Bundesverkehrswegeplanung" hier im Forschungsinformationssystem.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.
Betriebskosten
Betriebskosten sind laufende Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Erbringung von Verkehrsleistungen entstehen. Hierzu zählen zum Beispiel Aufwendungen für Energie, Personal, oder Infrastrukturnutzung.
Verkehrsaufkommen Das Verkehrsaufkommen beschreibt die Anzahl der zurückgelegten Wege, beförderten Personen oder Güter pro Zeiteinheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das spezifische Verkehrsaufkommen auf zurückgelegte Wege und beschreibt die mittlere Anzahl der Ortsveränderungen pro Person und Zeiteinheit.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?220280

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 17:58:47