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Gründe für den Ausbau und die Erhaltung der deutschen Binnenwasserstraßen

Erstellt am: 15.10.2004 | Stand des Wissens: 20.02.2023
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Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig

Um die verkehrsbedingten CO2-Emissionen in Europa bis zum Jahr 2050 um 90 Prozent reduzieren zu können, soll neben dem Schienengüterverkehr insbesondere auch die Binnenschifffahrt ertüchtigt werden: Bis zum Jahr 2030 gilt es, den Anteil der Binnenschifffahrt am Modal Split auf mehr als 25 Prozent und bis zum Jahr 2050 auf 50 Prozent zu steigern [EuKom20d]. Momentan liegt der Anteil der Binnenschifffahrt am Modal Split der Beförderungsleistung bei 8 Prozent [BMDV22h]. Um das Ziel von 25 Prozent zu erreichen, müsste die Binnenschifffahrt rund 276,8 Millionen Tonnen Güter pro Jahr transportieren. Im Jahr 2019 waren es jedoch nur etwa 205,1 Millionen Tonnen [DeBu21c]. Angesichts der volkswirtschaftlichen und umweltrelevanten Vorteile der Binnenschifffahrt, wie niedrige CO2-Emissionen und hohe Massenleistungsfähigkeit, ist es daher von hoher Bedeutung, die Rahmenbedingungen für das Binnenschiff zu verbessern, um einen möglichst hohen Anteil des prognostizierten Verkehrszuwachses verlagern zu können [BMVI20i].

Die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Binnenschifffahrt ist stärker als andere Verkehrsmodi von den Gegebenheiten und Zuständen des Verkehrswegenetzes und den Umschlagsanlagen abhängig. Verkehrsbehinderungen durch niedrige Wasserstände können unter anderem zu Engpässen in der Lieferkette führen. Dies wirkt sich auf die Wirtschaftlichkeit des Verkehrsträgers aus, da die Kosten der Binnenschifffahrt im Wesentlichen bei höheren Ladekapazität sinken, die wiederum von der niedrigsten Abladetiefe auf der befahrenen Strecke abhängen. Für das Binnenschiff gibt es insbesondere im Gegensatz zum Lkw kaum Ausweichmöglichkeiten, sodass bereits kleine Engstellen und Havarien zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Binnenschifffahrt im intermodalen Vergleich führen [DeBu19]. So führte die Havarie des Transportschiffes Ever Given zu einer Blockade des Suez-Kanals von sechs Tagen, weshalb 200 Frachtschiffe vor dem Kanal warten mussten, bis dieser wieder freigegeben wurde [BID21].

Hinzu kommt, dass aufgrund des Klimawandels eine zunehmende Volatilität, sprich eine Schwankung des Wasserstandes, durch Dürren und Trockenzeiten erwartet wird. So liegt beispielsweise die für die Schifffahrt definierte Mindestfahrwassertiefe der Elbe bei 1,60 Meter, welche auf der Elbe-Strecke 5 (Saalemündung bis zur Einfahrt Industriehafen Magdeburg) im Jahr 2019 an 20 Tagen unterschritten wurde [LAU21].

In Anbetracht dessen ist der Zustand der Anlagen der Bundeswasserstraßen sowie ihre Funktionalität wichtiger denn je, um reibungsfreie Transportabläufe gewährleisten zu können. Die Anlagen sind jedoch durch ein hohes Alter und eine starke Inanspruchnahme gekennzeichnet [BMDV20e]. Das Binnenwassernetz des Rheingebietes (der Rhein und seine größeren angrenzenden Nebenflüsse), auf das sich der Großteil des deutschen Binnenschiffverkehrs konzentriert, weist beispielsweise an vielen Schleusenanlagen Mängel und zum Teil Sanierungsbedarf auf [DeBu21b]. Eine nicht optimal ausgebaute Infrastruktur stellt ein zentrales Problem für die Binnenschifffahrt dar, da aufgrund von mangelnden Anlagen und unzureichenden Fahrrinnentiefen keine drei- oder vierlagige Containerstapelung auf Binnenschiffen möglich ist, was der wirtschaftlichen Untergrenze für den Containertransport entspricht [Hild08].

Instandhaltungs- und Ausbaumaßnahmen im Bundeswasserstraßennetz gewinnen vor dem Hintergrund der Ziele der deutschen und europäischen Verkehrs- und Klimapolitik an zusätzlicher Bedeutung. Zielgerichtete Ausbaumaßnahmen, wie Fahrrinnenvertiefungen und den damit einhergehenden erhöhten Abladetiefen und Ladekapazitäten, bieten die Möglichkeit, größere Binnenschiffe einzusetzen und somit aus ökonomischer Sicht mehr Güter pro Fahrt zu transportieren sowie aus ökologischer Sicht den Energieaufwand pro Ladeeinheit und damit auch die Abgasbelastung je transportierter Tonne zu vermindern.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Binnenwasserstraßen (Stand des Wissens: 20.02.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?303052
Literatur
[BID21] Business Insider Deutschland (Hrsg.) Unfall der "Ever Given": 5 Zahlen zeigen, wie heftig eine Blockade des Suezkanals die Wirtschaft trifft, 2021/03/30
[BMDV20e] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Investitionsrahmenplan 2019 bis 2023 für die Verkehrsinfrastruktur des Bundes (IRP), 2020
[BMDV22h] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr in Zahlen 2022/2023, 2022/12/09
[BMVI20i] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) Wasserstraßen, 2020
[DeBu19] Deutscher Bundestag (Hrsg.) Bundeswasserstraßen Ökonomische Aspekte, 2019/12/12
[DeBu21b] Deutscher Bundestag (Hrsg.) Zustand der Schleusen, Wehre und Brücken an den Bundeswasserstraßen Rhein, Rhein-Herne-Kanal, Wesel-Datteln-Kanal, Datteln-Hamm-Kanal, Ruhr, Mosel sowie Saar, 2021/05/10
[DeBu21c] Deutscher Bundestag (Hrsg.) "Strategie für eine nachhaltige und smarte Mobilität" und Ausbau der
Binnenschifffahrt um 25 Prozent, 2021/01/12
[EuKom20d] Europäische Kommission Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität: Den Verkehr in Europa auf Zukunftskurs bringen, 2020/12/09
[Hild08] Hildebrand, Wolf-Christian Management von Transportnetzwerken im containerisierten Seehafenhinterlandverkehr - Ein Gestaltungsmodell zur Effizienzsteigerung von Transportprozessen in der Verkehrslogistik, veröffentlicht in Schriftenreihe Logistik der Technischen Universität Berlin, Ausgabe/Auflage Band 6, 2008
[LAU21] Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU) (Hrsg.) Schiffbarkeit der Binnenwasserstraßen, 2021/03/10
Glossar
Schienengüterverkehr
Unter Schienengüterverkehr (SGV) wird der Transport von Gütern mit der Eisenbahn verstanden. Diese werden in Güterzügen unter Verwendung (spezieller) Güterwagen befördert. Diese Verkehre können entweder auf gesonderten Güterverkehrsstrecken oder im Mischverkehr, auf gemeinsam durch den Güter- und Personenverkehr genutzten Strecken, realisiert werden. Leistungen des Schienengüterverkehrs werden häufig als Teil einer Logistikkette in logistische Gesamtkonzepte eingebunden.
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?114702

Gedruckt am Freitag, 26. April 2024 00:33:19