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Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr als Konkurrenz zum ÖPNV

Erstellt am: 12.10.2004 | Stand des Wissens: 11.06.2019
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Die Unterstützung von Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr wird von Kommunen und Verkehrsunternehmen teilweise skeptisch beurteilt, da eine Konkurrenz zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) vermutet wird.

Nach [DHHK98] sind 60 Prozent der Fahrgemeinschaft-Teilnehmer im Berufsverkehr vor der Fahrgemeinschaft alleine im Pkw gefahren, 20 Prozent sind vom ÖPNV gewechselt und 20 Prozent von einer Kombination mehrerer Verkehrsmittel, bei überwiegender Beteiligung des ÖPNV [DHHK98, S. 115].

Bei einer Umsetzung von Förderstrategien für Fahrgemeinschaften können je nach der Art der Förderung bis zu 33 Prozent der potenziellen Wechsler zu Fahrgemeinschaften vom ÖPNV kommen. Diese Aussage ist bezogen auf einen potenziellen Fahrgemeinschaftsanteil von rund 2 Prozent [Funk06]. Funke gelangt in seiner Modellrechnung im Projekt "M21 FahrPlus" zu dem Ergebnis, dass eine Förderung von Fahrgemeinschaften in Betrieben zu einer Abnahme der Nutzung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) von lediglich 0,15 Prozent-Punkten führen würde [Funk06, S. 219].

Viele Autoren sind der Ansicht, dass Fahrgemeinschaften den ÖPNV eher ergänzen als konkurrenzieren. Dies wird wie folgt begründet [Reinke85, S. 33 ff.]:
  • Auf Achsen und in Gebieten mit leistungsfähigem ÖPNV ist das Angebot des ÖPNV attraktiver als Fahrgemeinschaften. Daher wird eher der ÖPNV gewählt.
  • Fahrgemeinschaften werden oft in der Fläche und bei längeren Entfernungen eingesetzt [Reink94, S. 67]. Bei Treffpunkten von Fahrgemeinschaften an Autobahnanschlussstellen (Entfernung zum Arbeitsplatz etwa 70 Kilometer) sind 0,5 Prozent der Teilnehmer vor der Teilnahme an der aktuellen Fahrgemeinschaft mit dem ÖPNV gefahren - im Vergleich zu 40 Prozent die vom Alleinfahren umgestiegen sind [GeRo01, S. 472].
  • Fahrgemeinschaften sind auf alternierende Pkw-Nutzung ausgerichtet. Personen ohne Pkw-Verfügbarkeit sind daher weniger affin für Fahrgemeinschaften.
  • Durch Fahrgemeinschaften wird eine Alternative zum Alleinfahren im Pkw eingeübt. Einige Veröffentlichungen bezeichnen Fahrgemeinschaften daher auch als Vorstufe zum ÖPNV. Aus den USA sind Erfahrungen bekannt, dass aus car pools und van pools mit der Zeit neue Busverkehre entstanden [Schä02, S. 8].
  • Fahrgemeinschaften werden vorrangig im Berufsverkehr genutzt, also zu Zeiten, in denen der ÖPNV Angebots- und Nachfragespitzen aufweist. Eine verstärkte Bildung von Fahrgemeinschaften könnte helfen, die Verkehrsspitzen des ÖPNV zu kappen [GeRo01, S. 472].
  • Besonders für ländliche Regionen können Fahrgemeinschaften, die gut einpendelt sind, eine Ergänzung zum ÖPNV sein [UBA19b].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr (Stand des Wissens: 21.06.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?56871
Literatur
[DHHK98] H. Dürholt , R. Hamacher , H. Hautzinger , B. Krämer , L. Neumann , Th. Pischner , B. Schaaf Strategien zur Erhöhung des Besetzungsgrades im Pkw-Verkehr, Heilbronn, 1998/06
[Funk06] Funke, Torsten Entwicklung von Verkehrsmittelwahlmodellen für komplexere Mitfahrverkehre, Stuttgart, 2006
[GeRo01] Gehm, Cornelia, v. Rohr, Götz Fahrgemeinschaftsparkplätze an Autobahnanschlussstellen, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 10/2001, 2001
[Reink94] Reinkober, Norbert, Dr. Fahrgemeinschaften und Mobilitätszentralen, veröffentlicht in Schriftenreihe f. Verkehr und Technik, Ausgabe/Auflage 1, Erich Schmidt-Verlag , 1994, ISBN/ISSN 3 503 03503 6
[Reinke85] Reinke, Volkmar Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr - Möglichkeiten und Grenzen der Förderung, Dortmund, 1985, ISBN/ISSN 3-88211-050-3
[Schä02] Schäfer, Marco Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr - in Deutschland auch in Zukunft nur die Nische in der Nische?, veröffentlicht in Planungsrundschau, Ausgabe/Auflage Ausgabe 05, Cottbus , 2002
[UBA19b] Umweltbundesamt, Umweltbundesamt (Hrsg.) Fahrgemeinschaften, 2019/02/21
Glossar
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?113793

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 03:37:24