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Druckverlust in der Flugzeugkabine

Erstellt am: 28.09.2004 | Stand des Wissens: 15.02.2023
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TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Mit zunehmender Flughöhe verringert sich der Umgebungsluftdruck. Dieser physikalische Sachverhalt wird unter anderem bei der barometrischen Höhenmessung zur Bestimmung der Flughöhe benutzt. Nachteilig sind die Auswirkungen in Form einer leicht verminderten Triebwerksleistung als auch für den menschlichen Organismus. Deswegen sind Verkehrsflugzeuge, die in Höhen von mehr als 3000 Meter fliegen, mit einer Druckkabine ausgerüstet, welche aufgrund strukturmechanischer Prinzipien eine längliche Form mit rundem Querschnitt aufweisen.

Wenngleich selten, ist ein Druckverlust in der Druckkabine in der Praxis nicht vollständig auszuschließen. In Abhängigkeit der Schnelligkeit des entstehenden Druckabfalls kann man zwischen einem Problem des Druckhaltesystems, einer Enthermetisierung und einer explosiven Dekompression (rapid decompression) unterscheiden. Langsame Druckverluste sind zum Beispiel in Folge eines Drucksystemschadens (Undichtigkeit an Tür oder Fenster) zu erwarten. Eine schnelle Dekompression kann nach einer strukturellen Beschädigung zum Beispiel an einem Druckschott entstehen. Ursachen hierfür können Materialversagen oder eine Explosion sein.

Auswirkung des Druckverlustes
Die Gefahr einer Dekompression besteht, wenn der Kabinendruck aufgrund einer Leckage nicht mehr gehalten werden kann. Je größer das Leck und je größer der Druckunterschied zur Umgebungsluft, desto schneller erfolgt der Druckausgleich zwischen Kabine und Außenluft. Bei einer rapiden Dekompression, die von einem Knall begleitet werden kann, entsteht ein Sog in Richtung des Lecks. Dadurch können lose Gegenstände umherwirbeln. Die Umgebungstemperatur in der Reiseflughöhe beträgt bei einem Passagierflugzeug in 11.000 Meter etwa minus 57°C. Bei einer Dekompression führt der Druck- und Temperatursturz zur Kondensation des in der Luft vorhandenen Wasserdampfs und damit zu einer Nebelbildung. All diese Erscheinungen bekamen auch die Passagiere von Aloha-Airlines Flug 289 zu spüren, als auf Reiseflughöhe (24000 feet, 7300 Meter) während eines Linienfluges von Hilo nach Honolulu durch Materialermüdung ein Teil des oberen Rumpfes der Boeing 737 abriss. Dabei wurde eine Flugbegleiterin aufgrund der rapiden Dekompression aus der Maschine gesogen. Trotz mehrerer technischer Probleme konnte die Boeing durch die Piloten ohne weitere Verluste sicher zu Boden gebracht werden [SKYb16].

Ein hohes Druckgefälle kann zur Folge haben, dass es zur Diffusion von Sauerstoff aus dem venösen Blut in die Alveolen der Lunge kommt. Der rapide Abfall des Sauerstoffpartialdrucks in der Atemluft führt schnell zu einer Unterversorgung des Gehirns und erschwert damit bewusstes, zielgerichtetes Handeln. Dies stellt besonders für den Luftfahrzeugführer eine Gefahr dar. Es wird davon ausgegangen, dass bei einer plötzlichen Dekompression in Abhängigkeit der Flughöhe nur etwa zwei Minuten verbleiben, bevor mit lebensgefährlichen Auswirkungen zu rechnen ist.

Gegenmaßnahmen
Als Gegenmaßnahme ist bei Kabinendruckverlust die Atmung von reinem Sauerstoff (100 prozentiger O2) geeignet, um der drohenden Sauerstoffunterversorgung entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck verfügen Passagierflugzeuge über Sauerstoffversorgungsanlagen. Ein Notabstieg auf eine Flughöhe, die mindestens der des vorherigen Kabinendrucks entspricht beziehungsweise die Landung auf dem nächstgelegenen Flugplatz ist weiterhin erforderlich, da die Sauerstoffversorgung zeitlich limitiert ist.

Für militärisches Fluggerät ist die Gefahr der rapiden Dekompression geringer, da der Differenzdruck meist geringer gehalten wird und geringere Flughöhen sehr viel schneller erreicht werden können. Zudem treten die physiologischen Gefahren in den Hintergrund, weil die Zufuhr von Sauerstoff über die permanent getragene Atemmaske unmittelbar gewährleistet ist.

Sauerstoffversorgung
Flugzeuge im kommerziellen Luftverkehr, die in einer Höhe von mehr als 3000 Meter fliegen, müssen über eine Druckkabine mit Sauerstoffanlage und Atemgeräte verfügen. In Verkehrsflugzeugen ist eine Sauerstoffnotversorgungsanlage für alle Passagiere fest installiert. Bei einem Druckabfall in der Kabine (Dekompression) fallen Masken automatisch aus Fächern in der Decke. Über eine Maske steht dann Atemsauerstoff zur Verfügung, der häufig durch chemische Sauerstoffgeneratoren erzeugt wird. Bei chemischen Sauerstoffgeneratoren befinden sich, neben den Masken in der Kabinendecke in einem Metallcontainer, zwei getrennte chemische Substanzen, die bei ihrer Zusammenführung Sauerstoff erzeugen. Durch das Heranziehen der Maske an den Mund des Passagiers wird die Trennung der Stoffe aufgehoben und 99,5 Prozent reiner Sauerstoff steht zur Verfügung. Die Versorgungsdauer durch diese Anlagentechnik ist beschränkt.

Fest installierte Sauerstoffversorgungsanlagen mit zentralen Sauerstoffzylindern sind flexibler an bestimmte Einsatzprofile von Verkehrsflugzeugen anzupassen. In bestimmten bergigen Regionen können nur flachere Sinkprofile geflogen werden und es muss eine größere Sauerstoffmenge für die Passagiere vorgehalten werden. Die Sauerstofftanks mit einem Fassungsvermögen von 3200 Liter bei einem Druck von 1850 psi finden sich in der Rumpfunterhälfte der Passagierflugzeuge. Die erforderliche Sauerstoffmenge hängt von der zulässigen Flughöhe und dem angenommen Sinkprofil ab. Nur durch einen unmittelbaren Notabstieg aus der Reiseflughöhe kann das Risiko durch den auftretenden Druckverlust gering gehalten werden. Sauerstoffmangelerscheinungen beeinträchtigen die Fähigkeit zur Führung eines Luftfahrzeuges. Daher muss insbesondere für Piloten eine schnelle und leicht zugängliche Sauerstoffversorgungsmöglichkeit gegeben sein.

Die Sauerstoffmasken für die Cockpitbesatzung dienen gleichzeitig zum Schutz bei Rauch- oder Brandentwicklung. Deswegen bedeckt die Maske neben dem Mund auch die Augen. Der Sauerstoff für die Cockpitbesatzung wird in speziellen Zylindern unter Hochdruck (1850 psi) gelagert und vor dem Austritt aus dem System auf 70 psi reduziert. Die Vorschriften der FAA und EASA sehen drei Einstellungen an diesem System vor. Im Normalbetrieb wird Sauerstoff und Kabinenluft in Abhängigkeit der Flughöhe gemischt. Zum Schutz vor Rauch kann eine 100 Proeznt Sauerstoffversorgung gewählt werden. Die Notfalleinstellung (emergency) sorgt dafür, dass durch eine kurzzeitige Überdruckzufuhr aus der Sauerstoffleitung die Dämpfe oder der Rauch aus der Maske entfernt werden. Diese schnell aufsetzbaren Sauerstoffmasken mit pneumatischer Arretierung (Quick donning mask) sind für die Cockpitbesatzung mittlerweile vorgeschriebener Standard.
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Sicherheitsaspekte im Flugbetrieb (Stand des Wissens: 20.02.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?87967
Literatur
[SKYb16] SKYbrary (Hrsg.) B732, en-route, Maui Hawaii, 1988, 2016/05/10
Weiterführende Literatur
[BW02] k.A. Kompendium Flugmedizin, 2002/06
Glossar
O2
= Sauerstoff. Im Normzustand ist Sauerstoff ein farbloses, geruchloses und geschmackloses Gas. Es ist sehr reaktiv, fast jedes chemische Element, abgesehen von Edelgasen, reagiert mit Sauerstoff, um Verbindungen zu bilden.
Sauerstoff ist von großer Bedeutung, weil er wesentlich an den Atmungsprozessen der meisten lebenden Zellen und an Verbrennungsprozessen beteiligt ist. Es ist das am häufigsten vorkommende Element der Erdkruste. Die Luft besteht zu fast einem Fünftel (Volumen) aus Sauerstoff. Ungebundener gasförmiger Sauerstoff besteht normalerweise aus einem zweiatomigen Molekül (O2), es gibt ihn aber auch in dreiatomiger Form (O3,) besser bekannt unter dem Begriff Ozon.
EASA Die European Aviation Safety Agency (EASA) ist die Europäische Agentur für Flugsicherheit der Europäischen Union (EU). Die EASA wurde am 15. Juli 2002 gegründet. Sie bereitet Gesetzesvorschläge vor und berät Kommission und Mitgliedstaaten der EU zum Thema Flugverkehr. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Harmonisierung und Umsetzung geeigneter Umwelt- und Sicherheitsstandards in der Zivilluftfahrt für das gesamte EU-Gebiet.
FAA Die Federal Aviation Administration (FAA) ist die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten von Nordamerika (USA).

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?110398

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 10:55:46