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Begegnungszonen

Erstellt am: 16.01.2012 | Stand des Wissens: 13.06.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Zu Beginn der 1980er Jahre fand die heutige Begegnungszone ihren Ursprung in der französischen Stadt Chambéry. Im Gegensatz zu Shared Space-Bereichen werden bei Begegnungszonen die verkehrsberuhigenden Maßnahmen auf das Hauptstraßennetz ausgeweitet. Mit diesen nach dem Mischungsprinzip gestalteten Fußgängerflächen wurde ein zur damaligen Zeit neuartiger Weg beschritten. In den sogenannten "Aire Piétonne" herrschen einheitliche Regeln [Thie10]:
  • Fußgängervorrang,
  • Schrittgeschwindigkeit und
  • Halteverbot.
Die Ansätze der Schweizer Begegnungszone gehen auf das Jahr 1995 zurück. Im Rahmen der Umsetzung des landesweiten Energiesparprogrammes "Energie 2000" und der regionalen "Agenda 21" wurde Burgdorf als Fußgänger- und Velomodellstadt ausgewählt. Mit dem Pilotprojekt "Flanierzone" - inspiriert durch das Beispiel Chambéry - sollte eine Alternative zur Fußgängerzone entwickelt werden, die dem Fußverkehr das "Flanieren" in attraktiver Geschäftsumgebung ermöglicht. Im Januar 2001 wurde das Pilotprojekt der Burgdorfer "Flanierzone" in eine Begegnungszone umbenannt und seit Januar 2002 auch gesetzlich als neues Verkehrsregime zugelassen [Schw10a]. Nach Artikel 2a Nummer 5 der Schweizer Signalisationsverordnung (SSV) sind die "Signale" von Begegnungszonen "[...]nur auf Nebenstrassen [sic] mit möglichst gleichartigem Charakter zulässig[...]" [SSV]. Sie kennzeichnen Straßen in Wohn- oder Geschäftsbereichen, auf welchen "Fussgänger [sic] und Benützer von fahrzeugähnlichen Geräten die ganze Verkehrsfläche benützen dürfen". Dabei haben sie vor dem Fahrzeugverkehr Vorrang, dürfen diesen aber nicht unnötig behindern [SSV, Artikel 22b Nummer 1] Weiterhin gelten in Begegnungszonen die folgenden Minimalprinzipien [SSV, Artikel 22b Nummer 2, Nummer 3]:
  • Höchstgeschwindigkeit von 20 Kilometer pro Stunde und
  • regelkonformes Parken nur in entsprechend markierten oder signalisierten Flächen.
Mit der Aufnahme der Begegnungszone in die Straßenverkehrsgesetzgebung kann sich der Einsatz von Begegnungszonen für verschiedenste Umfeldsituationen ergeben, zum Beispiel Bahnhofsvorplätze, Einkaufs- und Begegnungszonen im Zentrum, Altstädte, Schul- oder Wohnumfeld.
Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich, ist in der Schweiz das Spielen auf der Straße (Kinderspiel) an kein Verkehrsregime gebunden. Unabhängig von der signalisierten Höchstgeschwindigkeit ist das Kinderspiel nur auf schwach belasteten Straßen zulässig. Das schweizerische Vorbild der Trennung von Verkehrsregime und Kinderspiel ist folglich eine weitere Voraussetzung zur Anordnung von Begegnungszonen unter verschiedenen örtlichen Gegebenheiten [Schw10a].
Statistisch belastbare Aussagen bezüglich der Verkehrssicherheit liegen derzeit noch nicht vor. Dennoch zeigen beispielhaft durchgeführte Vorher-Nachher-Vergleiche der Unfallzahlen in schweizer Begegnungszonen einen positiven Trend [Schw10a]. Mit der Zone de Rencontre folgte auch Belgien im Jahr 2004 dem schweizer Vorbild, allerdings enger angelehnt an die Zone Résidentielle (verkehrsberuhigte Wohnstraße) [Thie10].
Im Rahmen des Forschungsprojektes "Vernetzte Spiel- und Begegnungsräume" wurde im August 2008 Deutschlands erste Begegnungszone im Frankfurter Nordend eingeweiht. Ziel der Umgestaltung war die Erhöhung der Umfeldqualität durch die Schaffung von neuen Aufenthaltsflächen zur Kommunikation für Anwohnerinnen und Anwohner sowie zum Kinderspiel. Darüber hinaus soll das Verantwortungsgefühl der Bewohnerinnen und Bewohner für den öffentlichen Raum gestärkt und verstetigt werden [BBSR12; FFM08]. Während der schweizer Ansatz rechtlich auf dem 2001 neu gesetzlich verankertem Verkehrsregime der Begegnungszone beruht, gibt es in Deutschland kein entsprechendes rechtliches Analogon. Die Begegnungszone im Frankfurter Nordend wurde also gemäß Straßenverkehrsordnung (StVO) als verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen (Zeichen 325 StVO).
Neben der Ausgestaltung eines niveaugleichen Querschnitts ohne große bauliche Maßnahmen gibt es weitere Besonderheiten [FFM08]:
  • partielle Einfärbung von Aufenthaltsfeldern und Kreuzungen
  • neuartigen Logos oder mit Schmalstrich markierte Stellplätze
  • durch Beschilderung und Schachbrettmarkierung deutliche gekennzeichnete Einfahrt (siehe auch Abbildung 1)
Nordend.pngAbbildung 1: Begegnungszone im Frankfurter Nordend [FFM08]
Im Rahmen der 2011 beschlossenen Fußverkehrsstrategie der Stadt Berlin wurden 10 Modellprojekte festgelegt. Dabei beschäftigt sich das "Modellprojekt 5" mit dem Thema Begegnungszonen und beinhaltet drei Pilotprojekte: Maaßenstraße (Schöneberg) [SenStadtUm13a], Bergmannstraße (Kreuzberg) [SenStadtUm15] und der Bereich um den Checkpoint Charlie (wurde aufgegeben [SenStadtUm17]). Ziel des Projektes Maaßenstraße war "ein verträgliches Miteinander von Autos, Fuß- und Radverkehr [zu schaffen]. Der Straßenraum soll sicherer, die Aufenthaltsqualität besser und der motorisierte Verkehr langsamer werden"[SenStadtUm13a].
Um dieses Ziel erreichen zu können, wurden folgende Gestaltungsmaßnahmen umgesetzt [SenStadtUm13a]:
  • Fahrbahnverschmälerung,
  • Schaffung zusätzlicher barrierefreier Querungsmöglichkeiten,
  • Verlagerung des Radverkehrs auf die Fahrbahn,
  • Gestaltung neuer Flächen mit hoher Aufenthaltsqualität,
  • Aufwertung des Straßenraums durch Möblierung,
  • Verzicht auf Flächen für den ruhenden Verkehr.
Die Eingangsbereiche wurden gemäß StVO mit dem Zeichen 274 (verkehrsberuhigter Geschäftsbereich) versehen [SenStadtUm13]. Zusätzlich sollen grüne Hinweisschilder den Wiedererkennungswert der Begegnungszone hervorheben [SenStadtUm13a].
Das Projekt Maaßenstraße fand bereits im Jahr 2015 seinen Abschluss. [SenStadtUm13a]. Im Jahr 2017 wurde eine Vorher-Nachher-Untersuchung des neu entwickelten Raumes veröffentlicht [SenStadtUm17a].
Im Fazit der Untersuchung wird festgestellt, dass die Anzahl der Zufußgehenden sowie die Überquerungsqualität für Zufußgehende mit der Umgestaltung gestiegen ist. Für den Kfz-Verkehr wurde ein Rückgang des Aufkommens und eine Verringerung der Durchschnittsgeschwindigkeit aufgenommen. Hervorzuheben ist dabei besonders, dass der Anteil an Fahrzeugen die mit 30 km/h oder schneller fahren von 47% auf 9% heruntergegangen ist. Trotzdem sind "die mittlere Kfz-Reisegeschwindigkeit und die Durchfahrzeit für den gesamten Straßenabschnitt [..] durch den homogeneren Verkehrsfluss nahezu gleich geblieben" [SenStadtUm17a]. Punkte bei denen laut der Untersuchung noch Handlungsbedarf besteht sind besonders die Nutzung des neuen Raumes als Aufenthaltsfläche und die Häufigkeit von ordnungswidrigem Parken [SenStadtUm17a].
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Katharina Malow
02011832800
katharina.malow@uni-due.de
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Fabian Heidegger
0351-463-36508
fabian.heidegger1@tu-dresden.de
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Straßenräume mit hohem Aufenthalts- und Querungsbedarf (Stand des Wissens: 13.06.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?375535
Literatur
[BBSR12] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Frankfurt - Nordend: Vernetzte Spiel- und Begegnungsräume. Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere - Modellvorhaben, 2012
[FFM08] Erste Begegnungszonen im Frankfurter Nordend , 2008/08/12
[Schw10a] Schweizer, T. Begegnungszonen in der Schweiz - ein Erfolgsmodell, veröffentlicht in Shared Space. Beispiele und Argumente für lebendige öffentliche Räume, Bielefeld, 2010, ISBN/ISSN 978-3-9803641-7-1
[SenStadtUm13] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin (Hrsg.) Fußverkehrsstrategie für Berlin - Modellprojekt 5 "Begegnungszonen", 2013
[SenStadtUm13a] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin (Hrsg.) Besseres Miteinander - Begegnungszone Maaßenstraße, 2013
[SenStadtUm15] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin (Hrsg.) Zwischenbericht zur Bestandsaufnahme "Berliner Begegnungszone Bergmannstraße", 2015/11
[SenStadtUm17] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin (Hrsg.) Begegnungszone Bereich um den Checkpoint Charlie, 2017
[SenStadtUm17a] Heinrichs, Eckhart, Patermann, Sonja Begegnungszone Maaßenstraße - Vorher-Nachher-Untersuchung, 2017/05
[Thie10] Thiemann-Linden, Jörg Begegnungszonen (zones de rencontre) in Frankreich und Belgien, veröffentlicht in Shared Space. Beispiele und Argumente für lebendige öffentliche Räume, Bielefeld, 2010, ISBN/ISSN 978-3-9803641-7-1
Weiterführende Literatur
[FGSV14] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. , Baier, Reinhold, Eilrich, Wolfgang, Gerlach, Jürgen, et al. Hinweise zu Straßenräumen mit besonderem Querungsbedarf - Anwendungsmöglichkeiten des "Shared Space"-Gedankens, veröffentlicht in Wissensdokumente (W 1), Ausgabe/Auflage FGSV 200/1, FGSV Verlag / Köln, 2014/06, ISBN/ISSN 978-3-86446-081-4
[Fuss12] Fussverkehr Schweiz Fachverband der Fussgängerinnen und Fussgänger Was ist eine Begegnungszone?, 2012
[SSV] Signalisationsverordnung (SSV)
[StVO] Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
Glossar
Verkehrsfluss
Unter Verkehrsfluss versteht man die Anzahl der Fahrzeuge, die eine vordefinierte Verkehrs(quer)fläche pro Zeiteinheit durchfährt.
StVO Die Straßenverkehrsordnung  legt Regeln für sämtliche Straßenverkehrsteilnehmer fest und bildet somit eine Rechtsverordnung der Bundesrepublik Deutschland.
AGENDA 21 Die Agenda 21 ist ein weltweites Umwelt-Aktionsprogramm als Handlungsprogramm für das 21. Jahrhundert, das im Juni 1992 in Rio de Janeiro auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) beschlossen und von 178 Staaten unterzeichnet wurde. Ziel sind eine nachhaltige, umweltgerechte Entwicklung und faire Entwicklungschancen der einzelnen Staaten. Die Verwirklichung der Agenda 21 erfordert die Partizipation aller Bürger und setzt daher auf der untersten Verwaltungsebene ein, also bei den Kommunen ("Lokale Agenda 21").

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?375520

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 21:45:53