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Organisation des ÖPNV

Erstellt am: 09.12.2002 | Stand des Wissens: 06.12.2022
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Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König

Verschiedene politische Ebenen bestimmen die Organisation des ÖPNV in der Bundesrepublik Deutschland. Mit Verordnungen und Richtlinien steckt die Europäische Union (EU) den verkehrspolitischen Rahmen für die Mitgliedsstaaten ab. Während Verordnungen der EU in den Mitgliedsländern unmittelbare und verbindliche Gesetzeskraft haben, sind Richtlinien der EU von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umzusetzen. Diese Aufgabe nehmen in Deutschland die gesetzgebenden Bundesorgane wahr. Sie delegieren zum Teil weitere Zuständigkeiten im ÖPNV an die Bundesländer. Des weiteren übernehmen in den Bundesländern zumeist kommunale Aufgabenträger weitere Aufgaben der ÖPNV-Organisation.

Europäischer Rahmen

Die Europäische Union verfolgt eine gemeinsame Verkehrspolitik. Sie strebt harmonisierte Vorschriften in den Mitgliedsstaaten an. Hinsichtlich des öffentlichen Verkehrs ist es politisches Ziel, eine Liberalisierung des Wettbewerbs und eine Öffnung der nationalen Märkte zu erreichen. [EuKom05o]

Die Verordnung (EG) 1370/2007 gilt ab dem 3.12.2009 unmittelbar und bedarf keiner Umsetzungsschritte des deutschen Gesetzgebers. Die neue Verordnung löst das bestehende, zum Teil bis zu 40 Jahre alte, Verordnungsrecht (EWG 1191/69) für den ÖPNV ab und verfolgt den Ansatz eines sogenannten kontrollierten Wettbewerbs. Sie erkennt nunmehr an, dass Aufgabenträger im ÖPNV finanzierend eingreifen und unter Umständen auch ausschließliche Rechte gewähren dürfen. Damit existieren nun Möglichkeiten, Leistungen im ÖPNV direkt und ohne förmliches Vergabeverfahren zu vergeben. [(EG) Nr. 1370/2007]

Die Richtlinie 91/440/EWG hat das Schaffen wirtschaftlich eigenständiger, leistungsstarker und wettbewerbsfähiger Eisenbahnverkehrsunternehmen zum Ziel. Zur Zielerreichung sieht sie eine unabhängige Geschäftsführung (Art. 4 ff.), verpflichtende Trennung der Rechnungsführung, fakultative Organisationstrennung zwischen Netz und Betrieb (Art. 6 ff.), das Recht auf diskriminierungsfreien Netzzugang und die Sanierung der Finanzstruktur (Entschuldung) (Art. 9 ff.) vor.

Die Richtlinie 2001/14/EG verpflichtet alle EU-Staaten eine unabhängige Regulierungsstelle einzurichten, die den diskriminierungsfreien Zugang zur Schieneninfrastruktur sicherstellen und mögliche Konflikte zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Netzbetreiber lösen soll. Die Staaten der EU sowie die Schweiz und Norwegen setzen diese Vorgabe in drei unterschiedlichen Modellen um (Besondere Regulierungsbehörde, Eisenbahnamt, Ministerium). In Deutschland hat Anfang 2006 die Bundesnetzagentur diese Aufgabe vom Eisenbahn-Bundesamt übernommen. Ein Vergleich zeigt, dass Staaten mit fortgeschrittener Marktöffnung ihre Regulierungsstellen schlagkräftig ausgestattet haben, die mit einem höheren Grad der Marktöffnung auch mehr Konfliktfälle zu verzeichnen haben. [DBAG06c]

Deutsches Recht

Der straßengebundene Personenverkehr in Deutschland wurde bislang vom Personenbeförderungsgesetz (PBefG) geprägt. Die Harmoniserung dieses Gesetzes mit dem Europarecht (Verordnung (EG) 1370/2007) erfolgte mit der Fassung vom 14.12.2012.

Im schienengebundenen Personenverkehr gilt in Deutschland das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG). Es setzt die EG-Richtlinie 91/440 um und bildet die gesetzliche Grundlage der Bahnstrukturreform. Für das Verkehrsunternehmen wird darin generell das Betreiben eines Verkehrs oder das Betreiben einer Infrastruktur genehmigt. Praktisch wichtiger als diese Betriebsgenehmigung sind meist die zwischen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern geschlossenen Verkehrsverträge über das Erbringen bzw. Finanzieren von Verkehrsleistungen.

Die Regionalisierung des SPNV ist eines der Hauptziele der Bahnstrukturreform in Deutschland und im Regionalisierungsgesetz (RegG) verankert. Neben einer Begriffsbestimmung des ÖPNV bildet das RegG die Grundlage der heutigen ÖPNV-Organisation. Es beauftragt die Länder, Kreise und Kommunen, den ÖPNV als Aufgabe der Daseinsvorsorge wahrzunehmen. Während der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) von jedem Verkehrsunternehmen eigenwirtschaftlich betrieben wird, finanziert der Bund den Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Da die Länder auch finanziell für den SPNV verantwortlich sind, stehen ihnen sogenannte Regionalisierungsmittel vom Bund zur Verfügung, deren Verteilung auf die einzelnen Bundesländer das RegG ebenfalls zum Inhalt hat.

Weitere Zuständigkeiten bzw. die landesinterne Aufteilung der Regionalisierungsmittel regeln die Landesnahverkehrsgesetze der Bundesländer. Zudem werden darin Zuständigkeiten in der Genehmigungs-, Finanzierungs- und Versorgungsverantwortung auf kommunale bzw. staatliche Behörden deligiert. Für den ausreichenden, flächendeckenden ÖPNV sind meist kommunale Aufgabenträger (Kreisfreie Städte, Landkreise) oder Verkehrsverbünde verantwortlich, denen Aufgaben im ÖPNV übertragen wurden. Die Ziele der Gestaltung des ÖPNV vor Ort werden von den kommunalen Aufgabenträgern bzw. Verkehrsverbünden in Nahverkehrsplänen formuliert.
UBA03a.jpgAbb. 1:Zuständigkeiten
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TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Organisation des ÖPNV (Stand des Wissens: 06.12.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?208400
Literatur
[DBAG06c] Deutsche Bahn AG Konzern Wettbewerbsbericht 2006, 2006
[EuKom05o] o.A. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, Brüssel, 2005
Weiterführende Literatur
[UBA20n] Umweltbundesamt (Hrsg.) Grundlagen für ein umweltorientiertes Recht der Personenbeförderung, 2020/11, ISBN/ISSN 1862-4804
[Rein06] Reinarz, Walter Wettbewerb im ÖPNV - Ausschreibungsmöglichkeiten von kommunalen Stadtbahnbetrieben, 2006
[Köhl04] Köhler, Uwe, Prof. Dr.-Ing. Wettbewerb im ÖPNV gestalten - Risiken und Chancen der Marktöffnung, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage 03, 2004
[(EG) Nr. 1370/2007] Verordnung (EG) Nr. 1370/2007
[91/440/EWG] Richtlinie [...] zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (91/440/EWG)
[AEG] Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG)
[PBefG] Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
[RegG] Regionalisierungsgesetz (RegG)
Glossar
Aufgabenträger
Aufgabenträger bestellen bei den Verkehrsunternehmen die im Rahmen der Daseinsvorsorge gewünschten Nahverkehrsleistungen. Dabei gibt es Unterschiede zwischen dem Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und dem straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Im SPNV sind seit Bahnreform und ÖPNV-Regionalisierung im Jahr 1995/96 anstelle des Bundes die Länder für die Planung, Organisierung und Finanzierung verantwortlich. In einigen Ländern sind die Aufgabenträger für das gesamte Land zuständig, wie in Bayern, in anderen betreuen sie regional abgegrenzte Gebiete, wie in Nordrhein-Westfalen. Teilweise wird die Aufgabenträgerschaft den Verkehrsverbünden zugewiesen, wie in Hessen.
Die Aufgabenträgerfunktion für den straßengebundenen ÖPNV ist den Landkreisen oder kreisfreien Städten zugeordnet.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Schienenpersonennahverkehr
Gemäß Regionalisierungsgesetz (RegG) § 2 handelt es sich bei einer auf der Schiene erbrachten Beförderungsdienstleistung um ein Angebot des Nahverkehrs, "wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle [...] die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt" [RegG, § 2]. Zur Erfüllung der Daseinsvorsorge wird der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) von den Ländern bestellt und unterstützt. Der SPNV ist eine Sonderform des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Der ÖPNV ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert, der SPNV zusätzlich noch im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG).
Personenbeförderungsgesetz
Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) regelt die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Oberleitungsbussen (Obussen) oder Kraftfahrzeugen im Linien- und Gelegenheitsverkehr. Die Novelle des PBefG schafft einen Rechtsrahmen für neue digitale Mobilitätsangebote und berücksichtigt stärker die Belange des Klimaschutzes, der Verkehrseffizienz und die Erreichbarkeit im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse. Des Weiteren sind im PBefG Vorgaben zur Wahrung von sozialen Standards zugunsten der Beschäftigten verankert.
Eisenbahn-Bundesamt Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) ist Aufsichts- und Genehmigungsbehörde für die Eisenbahnen des Bundes und Eisenbahnunternehmen mit Sitz im Ausland für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Es nimmt darüber hinaus die Landeseisenbahnaufsicht über die nichtbundeseigenen Eisenbahnen auf Weisung und Rechnung von 13 Bundesländern für diese wahr.
Allgemeines Eisenbahngesetz
Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) regelt eine Vielzahl von Einzelheiten des öffentlichen Eisenbahnverkehrs und gilt für Eisenbahnen, nicht jedoch für Magnetschwebebahnen, Straßenbahnen und die nach ihrer Bau- oder Betriebsweise ähnlichen Bahnen (zum Beispiel Bergbahnen).
Regionalisierung Regionalisierung bedeutet die Strukturierung und/oder Untergliederung eines geografischen Untersuchungsraums nach Merkmalen, die das Gebiet für einen gegebenen Kontext charakterisieren. Mit der Regionalisierung hydrologischer Modellparameter soll ein Zusammenhang zwischen Parametervariabilität und spezifischen physikalischen Charakteristika des Modelleinzugsgebiets hergestellt werden.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.
Schienenpersonenfernverkehr
Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist die Beförderung von Reisenden mit Eisenbahnzügen über längere Strecken mit mehr als einer Stunde Fahrzeit oder 50 km Entfernung. Im Gegenzug zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bzw. dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird der SPFV eigenwirtschaftlich betrieben und muss sich betriebsökonomisch selbst tragen.
Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sind öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. "Eisenbahnverkehrsunternehmen" stellt einen europarechtlichen Begriff dar, welcher durch nationales Recht in Form von § 2 (1) des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) konkretisiert wird.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?23405

Gedruckt am Donnerstag, 18. April 2024 21:35:25