Nord- und Ostsee als "Emission Control Area"
Erstellt am: 21.10.2004 | Stand des Wissens: 28.10.2022
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Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Das im Rahmen der Internationalen Meeresorganisation (IMO) geschlossene MARPOL-Übereinkommen 73/78 definiert in Annex I, II, IV, V und VI bestimmte Seegebiete als "Special Area / Sondergebiet, in denen auf Grund ihrer ozeanographischen und ökologischen Verhältnisse besondere Vorschriften zur Vermeidung von Umweltverschmutzung erforderlich sind und die so einen erhöhten Schutzstatus genießen.
Nord- und Ostsee sind als "Special Area in folgenden MARPOL-Annexes mit besonderem Schutzstatus ausgewiesen:
- I - Ölverunreinigungen (für die Ostsee in Kraft seit 1983 und für die Nordsee in Kraft seit 1999)
- IV - Schiffsabwasser (Ostsee 2013)
- V -Müllentsorgung (Ostsee 1989, Nordsee 1991)
- VI -Luftverschmutzung, Emission Control Areas (ECA) (Ostsee 2006, Nordsee 2007)
Aus der Kennzeichnung der Ostsee als Sondergebiet resultieren strengere Anforderungen für den Umweltschutz auf Seeschiffen. Das IMO-Umweltkomitee beschloss im Oktober 2010, das Konzept der "Special Area auf Annex IV auszudehnen und die Ostsee als Sondergebiet auszuweisen. Kreuzfahrtschiffe und Fähren dürfen seit 2013 keine ungereinigten Abwässer einleiten. Für Schiffsneubauten trat das Verbot ab 2013 in Kraft, ab 2018 gilt es ostseeweit für alle Passagierschiffe, wenn Entsorgungsanlagen in den Häfen verfügbar sind. Gleichzeitig wurden Grenzwerte für Nitrat- und Phosphoreinleitungen aus Schiffskläranlagen festgelegt. Die Vereinbarung wirksamer Maßnahmen trifft auf widerstreitende wirtschaftliche und politische Interessen.
In Annex VI "Regeln zur Verhütung von Luftverunreinigungen durch Seeschiffe" werden jeweils für See und Häfen Emissionsgrenzwerte für maximale Schwefelgehalte (SOX) sowie Stickstoffgehalte (NOX) und Feinstaubbelastungen (PM) definiert. Demnach gelten bestimmte Seegebiete u.a. basierend auf maximalen Schwefelgehalten als "Sulphur oxide Emission Control Area" (SECA). In der Ostsee ist Annex VI seit 2006 und in der Nordsee seit 2007 in Kraft.
Anforderungen an Schiffe, welche die Nord- und Ostsee als ECAs passieren und entsprechende Häfen aufsuchen beziehungsweise Voraussetzungen für die verwendeten Treibstoffe, sind:
- 1,0 Prozent Schwefelgrenzwert ab 2010
- 0,1 Prozent ab Januar 2015
Der Einsatz schwefelarmer Treibstoffe verteuert allerdings den Seetransport in den SECAs erheblich und beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber alternativen Landrouten [ECSA09]. Für die Ostsee kommt hinzu, dass die als Alternative zumeist verwendeten relativ kostengünstigen offenen Abgaswaschanlagen (sea water scrubber) wegen der niedrigen Alkalinität des Ostseewassers in ihrer Wirksamkeit reduziert werden, sodass sie hier nicht sinnvoll einsetzbar sind [Ent10, S.18]. Der Schwefelgrenzwert im Treibstoff ab 2015 wird daher von Reedern und Häfen im Nord- und Ostseeraum kritisiert. Mit mehreren Studien wurden die wahrscheinlichen Auswirkungen der Regelung abgeschätzt.
Als Effekte für Fähr- und RoRo-Verkehre zwischen deutschen Ostseehäfen und für Containerverkehre von deutschen Nordseehäfen in die Ostsee wurden in der deutschen Studie [ISL10] kalkuliert:
Von 2,7 Millionen Trailern im Basisjahr 2008 würden rund 600.000 Einheiten (22 Prozent) direkt auf Landrouten beziehungsweise auf Routen mit kürzeren Fähranteilen verlagert werden.
Containerfeederverkehre verlieren 13 Prozent des Ladungsaufkommens, insgesamt eine Verlagerung von etwa 630.000 TEU.
Container-Kurzstreckenseeverkehr (innereuropäisch) verliert fast 200.000 TEU (27 Prozent). Besonders betroffen wären die langen Routen nach Finnland, Russland und ins Baltikum.
In einer Metastudie in Auswertung mehrerer anderer Untersuchungen zu den Auswirkungen von MARPOL Annex VI im Nord-/Ostseeraum wurde erfasst:
- Bei 0,1 Prozent Schwefelgrenzwert in 2015 entstehen zusätzliche Treibstoffkosten von 155-310 Euro pro Tonne, im Mittel etwa 230 Euro pro Tonne und somit ein Plus von 80 Prozent.
- Die Gesamtkosten des Übergangs auf schwefelarmen Treibstoff werden auf 3,0 - 3,6 Milliarden Euro in 2015 geschätzt. Für alternative Mechanismen (Abgaswäsche), deren Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit aber noch unsicher ist, würden 20-50 Prozent dieser Kosten entstehen.
- 3 - 50 Prozent des Ladungsvolumens werden vom Seeverkehr zum Landverkehr übergehen, abhängig von den betrachteten Routen und Preisentwicklungen bei Treibstoffen.
- Unter Einbeziehung der externen Kosten und unter Vernachlässigung des Wechsels zum Landverkehr werden für Europa insgesamt meist Nettonutzen errechnet. Wird die modale Komponente einbezogen, können die Kosten den Nutzen übersteigen [Ent10, S.18].
In der Realität sind jedoch weder die Treibstoffpreise seit in Kraft treten der Regelung gestiegen, noch das Ladungsvolumen eingebrochen. Daraus wurde gefolgert, dass die Industrie sich auf die veränderten Bedingungen einstellen konnte und weitere Gebiete, wie etwa das Mittelmeer, könnten zu schwefelarmen Zonen bestimmt werden. Weiterhin ist die Menge des ausgestoßenen SO2 an allen Prüfstandorten um 50 Prozent und mehr zurückgegangen und die Luftqualität konnte sich somit deutlich verbessern [SpOn16a].
Über Emission Control Areas hinaus werden nach MARPOL Besonders empfindliche Meeresgebiete (Particularly Sensitive Sea Area - PSSA) definiert (bisher insgesamt 17 Gebiete) [IMO19g]. Es wurde festgelegt, das PSSAs aus anerkannten ökologischen, sozialökonomischen oder wissenschaftlichen Gründen und wegen ihrer Empfindlichkeit gegenüber maritimen Wirtschaftsaktivitäten einen besonderen Schutz benötigen. Ein Meeresgebiet kann demnach sowohl "special area" als auch PSSA sein, da sich die Kriterien nicht gegenseitig ausschließen. Der PSSA-Status ist eine wichtige Voraussetzung für konkrete Schutzmaßnahmen in Fragen der Schiffssicherheit. Es können unter anderem Routenvorschriften für alle oder bestimmte Klassen von Schiffen erlassen werden. Das Wattenmeer in der Nordsee ist seit 2002 anerkanntes PSSA, die Ostsee seit 2005 [IMO19g].
Die für den Umweltschutz in Nord- und Ostsee zuständigen zwischenstaatlichen Abkommen OSPAR und HELCOM schätzen in ihren Berichten ein, dass die Ausweisung von Sondergebieten, PSSA und ECA effektive Mittel zur Reduzierung von Umweltbelastungen sind, wenn sie ausreichend überwacht werden. So werden bei den Überwachungsflügen tendenziell weniger Ölverschmutzungen je Flugstunde gefunden. Andererseits werden weiterhin illegale Einleitungen und Müllabwürfe in schwer zu quantifizierender Menge festgestellt [HELC10d, S.34, OSPAR10, S.94f.].
Die für den Umweltschutz in Nord- und Ostsee zuständigen zwischenstaatlichen Abkommen OSPAR und HELCOM schätzen in ihren Berichten ein, dass die Ausweisung von Sondergebieten, PSSA und ECA effektive Mittel zur Reduzierung von Umweltbelastungen sind, wenn sie ausreichend überwacht werden. So werden bei den Überwachungsflügen tendenziell weniger Ölverschmutzungen je Flugstunde gefunden. Andererseits werden weiterhin illegale Einleitungen und Müllabwürfe in schwer zu quantifizierender Menge festgestellt [HELC10d, S.34, OSPAR10, S.94f.].